EMRK Art. 8, 35 Abs. 3, 41
Durchsuchung einer Anwaltskanzlei
EGMR (I. Sektion), Urt. v. 09.04.2009 – 19856/04 (Kolesnichenko/Russland)
1. Der Begriff „Wohnung“ in Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) umfasst nicht nur die Privatwohnung, sondern auch Geschäftsräume, insbesondere die Kanzlei eines Rechtsanwalts.
2. Die Verfolgung und Behinderung von Anwälten berührt den Kernbereich des Konventionssystems. Deswegen muss die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei besonders sorgfältig geprüft werden.
3. Die Durchsuchung ist ein Eingriff in das in Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Wohnung. Bei der Prüfung, ob sie „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ i. S. von Art. 8 Abs. 2 EMRK ist, stellt der Gerichtshof insbesondere darauf ab, ob es im staatlichen Recht wirksame Garantien gegen Missbrauch und Willkür gibt.
4. Bei Durchsuchung einer Anwaltskanzlei müssen unabhängige Zeugen zugezogen werden, die beurteilen können, ob geschützte Unterlagen eingesehen und beschlagnahmt werden. Wenn sie keine juristische Ausbildung haben, sind sie keine geeigneten Zeugen.
5. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit berücksichtigt der Gerichtshof die Auswirkungen einer Durchsuchung auf die Arbeit und den Ruf eines Anwalts.
6. Die Durchsuchungsanordnung muss, soweit das praktisch möglich ist, begrenzt und so gefasst sein, dass sie die Auswirkungen in angemessenen Grenzen hält.
Leitsatz des Bearbeiters der NJW