Ein Rechtsanwalt macht sich nicht schon wegen Urkundenunterdrückung durch Unterlassen strafbar, wenn er irrtümlich seinem Mandanten zugestellte Anträge des Prozessgegners nicht weiterleitet.1)
OLG Hamm, B. v. 06.01.2004 - 4 Ws 549/03 Der im Klageerzwingungsverfahren beschuldigte Rechtsanwalt vertrat einen Mandanten in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren. Diesem Mandanten wurde irrtümlich durch die Bevollmächtigten des Prozessgegners ein gegen ihn gerichtetes Mahnbescheidsantragsformular zugestellt. Das Schreiben ist zwar an das Arbeitsgericht adressiert gewesen, jedoch infolge eines Versendungsfehlers des Kanzleisekretariats direkt an den Prozessgegner gesandt worden. Der Mandant wandte sich an seinen Rechtsanwalt, welcher befand, dass weder eine Hinweispflicht gegenüber der Gegenpartei bestand, noch die Verpflichtung vorlag, das Formular an den Absender zurückzuschicken oder an das Arbeitsgericht weiterzuleiten. Das Antragsformular verblieb somit beim Mandanten. Das Mahnverfahren wurde nicht eingeleitet. Der Prozessgegner war der Ansicht, dass sich sowohl der Mandant, als auch dessen Rechtsanwalt durch ihre Untätigkeit der Urkundenunterdrückung durch Unterlassen schuldig gemacht haben.
Der entsprechende Antrag des Prozessgegners wurde im Klageerzwingungsverfahren – nach der vorherigen Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 170 II StPO – als unzulässig verworfen. Das OLG verneinte für die Beschuldigten das Bestehen einer Garantenpflicht, welche die Weiterleitung irrtümlich zugestellter Post beinhaltet. Eine solche Pflicht des beschuldigten Mandanten gegenüber dem Prozessgegner, als ehemaligen Arbeitgeber, kann weder aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis, noch aus einem besonderen Vertrauensverhältnis begründet werden. Eine pflichtwidrige Nichtherausgabe der Post kann dem Rechtsanwalt nicht vorgeworfen werden, denn dies würde diesen zur Vornahme einer Handlung zwingen, die zum eigenen bzw. zum Nachteil des Mandanten erfolgen würde. Eine Pflicht, welche zur Verletzung von Mandanteninteressen führe, kann mit dem Berufsrecht der Rechtsanwälte nicht vereinbar sein.