SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Keine Befreiung von Syndikusanwälten von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht
BSG, Urteil vom 03.04.2014 – B 5 RE 3/14 R
1. Syndikusanwälte könnten nicht gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit werden.
2. Die von der deutschen Rentenversicherung entwickelte Verwaltungspraxis, wonach anwaltlich tätig ist, wer kumulativ die Merkmale Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung erfüllt („Vier-Kriterien-Theorie“), ist mit § 6 SGB VI nicht zu vereinbaren.
3. Syndikusanwälte, die für ihre aktuell ausgeübte Tätigkeit über einen Befreiungsbescheid verfügen, genießen Vertrauensschutz.
Anmerkung:
Das Bundessozialgericht hat am 03.04.2014 in drei Revisionsverfahren entschieden, dass Syndikusanwälte grundsätzlich nicht gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit werden können. Aus den nun veröffentlichten Entscheidungsgründen eines der drei Urteile ergibt sich Folgendes:
Die Erwerbstätigkeit des als Jurist in einem Chemieunternehmen angestellten Klägers könne dem Berufsfeld der Rechtsanwältin/des Rechtsanwalts von vornherein nicht zugeordnet werden, da die anwaltliche Berufsausübung „in der äußeren Form der Beschäftigung nicht möglich“ sei (Rz. 26).
Seiner Beurteilung der sozialrechtlichen Frage, ob eine Erwerbstätigkeit dem Bereich anwaltlicher Berufstätigkeit zugeordnet werden kann, legt das BSG die ständige Rechtsprechung des BGH, des BVerfG und des EuGH (so genannte Doppel- bzw. Zwei-Berufe-Theorie) zugrunde (Rz. 29).
Unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Senats für Anwaltssachen des BGH betont das BSG ferner, dass unter einem „Syndikus“ lediglich derjenige zu verstehen sei, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis bei einem bestimmten Arbeitgeber stehe. Der „Syndikusanwalt“ sei gleichzeitig als Rechtsanwalt zugelassen (Rz. 30).
Ungeachtet im Einzelfall arbeitsrechtlich eröffneter Möglichkeiten, auch gegenüber dem (nichtanwaltlichen) Arbeitgeber sachlich selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln, sei allein die Eingliederung in die von diesem vorgegebene Arbeitsorganisation mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts unvereinbar. Der Syndikusanwalt sei Rechtsanwalt, nicht weil er Syndikus sei, sondern weil er sich auf Grund einer nur deshalb zu erteilenden Zulassung unabhängig hiervon und daneben gesondert als Rechtsanwalt betätigt. Beide Tätigkeiten seien grundsätzlich getrennt zu betrachten (Rz. 34).
Schließlich betont das BSG, dass § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI als abschließende Ausnahmeregelung einer weiten, erweiternden oder analogen Anwendung weder bedürftig noch fähig sei (Rz. 44).
Diese Vorschrift sei weder bevorzugt dazu bestimmt, den Interessen von Freiberuflern zu dienen, noch bezwecke sie in besonderer Weise den Bestandsschutz berufsständischer Versorgungswerke (Rz. 47).
Der Gesetzgeber dürfe zur Bestimmung der Schutzbedürftigen typisierend an den Sachverhalt der Beschäftigung anknüpfen und in Verbindung hiermit Versicherungszwang anordnen (Rz. 50).
Im Ergebnis handele es sich bei der von der Deutschen Rentenversicherung seit 2005 entwickelten so genannten „Vier-Kriterien-Theorie“ um eine vom Gesetz abweichende rechtswidrige Verwaltungspraxis, auf die sich Syndici nicht berufen könnten. Bezogen auf die jeweilige Beschäftigung, für die eine Befreiung von der Deutschen Rentenversicherung ausgesprochen worden ist, hätten Syndici jedoch ein rechtlich geschütztes Vertrauen in den Bestand dieser Entscheidungen, das über den Schutz durch die §§ 44 ff. SBG X hinausgehen dürfte (Rz. 53).
Leitsatz des Verfassers