Leitet ein Rechtsanwalt, dem nach Abschluss der ersten Instanz der ausgeurteilte Betrag von der unterlegenen Partei auf sein Geschäftskonto zur Verfügung gestellt wurde, das Fremdgeld erst nach Abschluss der zweiten Instanz an die von ihm vertretene Partei weiter, haftet er ihr gegenüber auf den Ersatz des Zinsschadens aus positiver Vertragsverletzung. Dies gilt auch dann, wenn dem Rechtsanwalt der Betrag von der unterlegenen Partei nur „zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckung“ zur Verfügung gestellt wurde.

AG Arnsberg, U. v. 16. Oktober 2002 – 12 C 124/02

Anmerkung, mitgeteilt von Rechtsanwalt Christoph Krekeler, Dortmund:

Der Entscheidung lag verkürzt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Parteien stritten über die Erstattung eines Zinsschadens. Der Beklagte ist Rechtsanwalt. Die Klägerin hatte den Beklagten zuvor mit der Wahrnehmung ihrer Interessen aus einem Verkehrsunfall beauftragt. In der ersten Instanz wurden der Unfallverursacher und dessen Haftpflichtversicherung durch das Landgericht Bielefeld als Gesamtschuldner zur Zahlung von 17.700,00 DM an die Klägerin verurteilt. Das Urteil war für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Mit Schreiben an den Beklagten vom 22. Februar 1999 stellte die Haftpflichtversicherung den ausgeurteilten Betrag per Verrechnungsscheck mit dem Hinweis zur Verfügung, dass die Zahlung nur der „Vermeidung einer Zwangsvollstreckung“ diene. Am 25. Februar 1999 wurde der Betrag auf dem Geschäftskonto des Beklagten gutgeschrieben.

Nach Abschluss des Berufungsverfahrens bat der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 15. Oktober 2001 um Mitteilung ihrer Bankverbindung. Am 23. Oktober 2001 erfolgte die Auskehrung des Betrages in Höhe von genau 17.700,00 DM auf das Konto der Klägerin. Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 07. Dezember 2001 wurde der Beklagte zur Erstattung der der Klägerin entgangenen Zinsen in Höhe von 960,45 € (1.878,49 DM) unter Zugrundelegung eines gesetzlichen Zinssatzes von 4 % und einer banküblichen Berechnung für den Zeitraum vom 03. März 1999 bis zum 26. Oktober 2001 aufgefordert. Der Beklagte zahlte nicht, weshalb die Klägerin die Erstattung ihres Zinsschadens gerichtlich durchsetzte.

Zu Recht wurde der Beklagte zur Erstattung u.a. des Zinsschadens in Höhe von 960,45 € (1.878,49 DM) verurteilt. Der Beklagte verletzte nämlich seine berufsrechtlichen Pflichten als Rechtsanwalt aus § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO i.V.m. § 4 Abs. 2 BerufsO i.V.m. § 667 BGB.

§ 43a Abs. 5 Satz 1 BRAO formuliert den Grundsatz, dass der Anwalt bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet sei. Dieser allgemeinen Regel stellt der Satz 2 das Gebot zur Seite, fremde Gelder unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen. Nach dem Normzweck begründet sich die Sorgfaltspflicht des Anwalts aus dem vertraglichen Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten und dessen Erwartung in die uneingeschränkte Integrität des Rechtsanwalts in seiner Stellung als Organ der Rechtspflege (Eylmann, in: Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 43a Rz. 154; Feuerich/Braun, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 43a Rz. 84; Jessnitzer/Blumberg, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 43a Rz. 5.)

Im Wege der Konkretisierung des § 43a Abs. 5 BRAO beschreibt insbesondere § 4 Abs. 2 BerufsO die von einem Rechtsanwalt zu beachtende Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung von Fremdgeld an den Berechtigten.

Behält der Rechtsanwalt Fremdgelder längere Zeit auf seinem Kanzleikonto, handelt er pflichtwidrig, und zwar vorsätzlich, wenn er damit einen Liquiditätsengpass überbrücken wollte, oder fahrlässig, wenn Nachlässigkeit oder Vergesslichkeit die Ursache war (Feuerich/Braun, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 43a Rz. 90; Eylmann, in: Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 43a Rz. 161; Nerlich, in: Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, § 4 Rz. 46.). Für die Unverzüglichkeit hat die Rechtsprechung unter Berücksichtigung der jeweiligen Organisationsstruktur der Kanzlei einen Zeitraum bei Einzelanwälten von zwei Tagen bis zu drei Wochen bei Großkanzleien ausreichen lassen. Wenn eine unverzügliche Weiterleitung fremden Geldes an den Empfangsberechtigten nicht möglich ist, etwa wenn Streit über die Empfangsberechtigung herrscht oder längere Abwesenheit des Empfangsberechtigten entgegenseht, hat der Rechtsanwalt die Pflicht, das anvertraute Geld auf ein Anderkonto einzuzahlen. Andere Handlungsmöglichkeiten sieht das Gesetz grundsätzlich nicht vor. § 4 Abs. 2 Satz 2 BerufsO stellt klar, dass die Weiterleitungspflicht Vorrang vor der Einzahlungspflicht auf ein Anderkonto hat (Nerlich, in: Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, § 4 Rz. 22.).

Indem der Beklagte den am 25. Februar 1999 auf seinem Geschäftskonto gutgeschriebene Betrag am 23. Oktober 2001, also über zwei Jahre später, an die Klägerin überwies, handelte er seiner berufsrechtlichen Pflicht zuwider.

An der Empfangsberechtigung der Klägerin ändern auch die Umstände nichts, dass das Urteil des Landgerichts Bielefeld nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar war und die Klägerin eine solche Sicherheitsleistung nicht erbracht hatte. Denn die Zahlung der Haftpflichtversicherung diente ausdrücklich „zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung“, so dass es auf das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen gerade nicht ankam.

Nur ausnahmsweise kommt eine Suspendierung des Anwalts von seiner Weiterleitungspflicht für die Fälle in Betracht, in denen er mit seinem Mandanten etwas anderes vereinbart hat, § 4 Abs. 2 Satz 3 BerufsO. Wegen des objektivierten Vertrauens der rechtssuchenden Bevölkerung in die Integrität des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege sind an eine derart abweichende Vereinbarung mit dem Empfangsberechtigten hohe Anforderungen zu stellen. Nur eine individual vertragliche Abrede kann einer Ausnahme von den gesetzlichen Pflichten eines Rechtsanwalts rechtfertigen (Nerlich, in: Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, § 4 Rz. 24, 39.)

Für die Abänderung einer Pflicht des Rechtsanwalts aus dem Mandatsvertrag bedarf es zweier übereinstimmender Willenserklärungen. Bloßes Schweigen einer Vertragspartei, etwa der Klägerin auf ein Aufforderungsschreiben des Beklagten über die Mitteilung der Bankverbindung und auf ein Erinnerungsschreiben, genügt nicht. Nach den Vorschriften über das Zustandekommen von Verträgen gem. §§ 145 ff. BGB ist bloßes Schweigen nicht als Willensäußerung zu bewerten.

Als Folge der schuldhaften Pflichtverletzung hat der Beklagte der Klägerin den durch die verzögerte Weiterleitung entstandenen Zinsschaden zu ersetzen. Die grundsätzliche Pflicht des Rechtsanwalts zur zinsgünstigen Anlage des ihm anvertrauten Geldes dürfte sich aus § 43a Abs. 5 Satz 1 BRAO herleiten, wonach die Vermögenswerte mit der erforderlichen Sorgfalt zu behandeln sind. Hinsichtlich der Art und Weise der zinsgünstigen Geldanlage kommt es auf die tatsächlichen Umstände bei dem Geschädigten an. Nach § 252 Satz 2 BGB gilt der Gewinn als entgangen, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Die Klägerin machte geltend, den 1999 von der Haftpflichtversicherung gezahlten Betrag in Höhe von 17.700,00 DM zu einem Zinssatz von 4 % anlegen zu können. Nachdem der Beklagte dies nicht bestritt, ließ auch das Gericht den Zinssatz von 4 % unbeanstandet.