von Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin
Berlin, 09.12.2019 (Veröffentlichung aus dem BRAK-Magazin Heft 6/2019)
Die flächendeckende aktive Nutzungspflicht für den elektronischen Rechtsverkehr (ERV) gilt erst ab dem 1.1.2022, das ist inzwischen weithin bekannt. Doch das gilt nicht ausnahmslos! Es ist also keineswegs damit getan, dass Anwältinnen und Anwälte – um ihrer passiven Nutzungspflicht gem. § 31a VI BRAO zu genügen – regelmäßig in ihr beA-Postfach sehen. Denn an einigen wichtigen Stellen gibt es bereits aktive Nutzungsverpflichtungen, und sie werden mehr.
Elektronische Empfangsbekenntnisse
Ein praktisch wichtiger, aber oft übersehener Fall, in dem Anwältinnen und Anwälte (bereits seit dem 1.1.2018!) verpflichtet sind, etwas per beA ans Gericht zu senden, ist das elektronische Empfangsbekenntnis. Nach § 174 III ZPO können Gerichte ein Empfangsbekenntnis elektronisch anfordern. Es ist dann gem. § 174 IV ZPO elektronisch abzugeben, und zwar in strukturierter, maschinenlesbarer Form.
Geschieht das nicht, entstehen Risiken: Die Zustellung ist nicht nachweisbar, Rechtsmittelfristen sind nicht zuverlässig zu berechnen. Grund genug also, sich damit vertraut zu machen! Anleitungen dafür finden sich im beA-Newsletter.
Elektronisches Mahnverfahren
Das elektronische Mahnverfahren ist in Sachen ERV den übrigen Verfahrensarten und Gerichtsbarkeiten voraus. Bereits seit 2008 müssen Anwältinnen und Anwälte gem. § 690 III 2 ZPO den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids in nur maschinenlesbarer Form übermitteln. Dies geschah mittels eines speziell erzeugten Datensatzes, der – qualifiziert elektronisch signiert – per EGVP oder beA an das Gericht zu senden war, oder durch das sog. Barcode-Verfahren über das Portal online-mahnantrag.de (näher Nitschke, BRAK-Magazin 4/2019, 10).
Zum 1.1.2018 hat der Gesetzgeber die anwaltliche Nutzungspflicht im automatisierten Mahnverfahren ausgeweitet. Nach § 702 II ZPO dürfen Anwältinnen und Anwälte Anträge und Erklärungen, für die es maschinell bearbeitbare Formulare i.S.v. § 703c I 2 Nr. 1 ZPO gibt, nur noch in dieser Form übermitteln. Im Klartext gilt dies – neben dem Mahnantrag – für Anträge auf Neuzustellung des Mahnbescheids oder auf Erlass bzw. Neuzustellung des Vollstreckungsbescheids.
Seit dem 1.1.2018 müssen Mahnanträge – wie sonstige Schriftsätze – gem. § 130a III ZPO nicht mehr mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des verantwortenden Anwalts versehen sein, wenn dieser den Antrag (bzw. Schriftsatz) einfach signiert und aus seinem eigenen beA-Postfach („sicherer Übermittlungsweg“ i.S.v. § 130a IV ZPO) versendet.
Erweiterte Pflichten im Mahnverfahren ab dem 1.1.2020
Ab dem 1.1.2020 müssen Anwältinnen und Anwälte gem. § 702 II 2 ZPO auch den Widerspruch gegen einen Mahnbescheid in nur maschinell lesbarer Form an das Gericht übermitteln. Insofern gilt, was auch für die übrigen Anträge gilt: qualifiziert signieren oder selbst aus dem eigenen beA an das Gericht übermitteln (vgl. § 130a III ZPO).
Obacht: Ab dem 1.1.2020 dürfen Anwältinnen und Anwälte die entsprechenden Papiervordrucke nicht mehr nutzen – sonst ist der Widerspruch formunwirksam und hindert nicht den Erlass eines Vollstreckungsbescheids. Dem Antragsgegner selbst muss das Gericht aber das Widerspruchs-Formular weiterhin zusammen mit dem Mahnbescheid zustellen, denn für ihn gilt die Nutzungspflicht nicht (näher Nitschke, BRAK-Magazin 4/2019, 10). Hierauf sollte die Kanzleiorganisation unbedingt eingestellt werden.
Die aktive Nutzungspflicht kommt früher!
Das Gesetz zur Förderung des ERV sieht in Art. 24 II vor, dass die Länder die aktive Nutzungspflicht vom 1.1.2022 um ein oder zwei Jahre vorziehen können. Schleswig-Holstein macht von diesem Opt-In für seine Arbeitsgerichtsbarkeit Gebrauch: Ab dem 1.1.2020 dürfen professionelle Einreicher – also insb. Anwältinnen und Anwälte – vorbereitende Schriftsätze samt Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen ausschließlich elektronisch einreichen. Wer Verfahren vor schleswig-holsteinischen Arbeitsgerichten führt, muss dies berücksichtigen!
- 46g ArbGG, der die Nutzungspflicht regelt und damit für Schleswig-Holstein bereits zum 1.1.2020 in Kraft tritt, sieht übrigens auch eine Ersatzeinreichung vor, falls die elektronische Übermittlung technisch vorübergehend nicht möglich ist.