von Rechtsanwalt Dirk Hinne, Dortmund
Rechtsanwälte sind mit dieser Tätigkeit versicherungspflichtig in den jeweiligen Versorgungswerken der Länder. Dabei werden der Beitragsbemessung sämtliche Einnahmen des Rechtsanwalts aus allen Nebentätigkeiten zugrunde gelegt. Neben dieser Versicherungspflicht im Versorgungswerk kann eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen.
Für Rechtsanwälte, die ausschließlich selbständig als Rechtsanwalt tätig sind, ist die Rechtslage einfach. Sie sind grundsätzlich in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht versicherungspflichtig.
Angestellte Rechtsanwälte, Justiziare und Rechtsanwälte mit Nebentätigkeiten müssen dem Verhältnis zwischen den Versicherungspflichten in beiden Versorgungssystemen aufgrund der Entscheidungen des BSG vom 31.10.2012 (- B 12 R 8/10 R -, -B 12 R 3/11 R – und – B 12 R 5/10 R), der Verfahrensvorgaben im Rundschreiben des Bundesministers des Inneren vom 21.11.2013 und des Urteils des LSG NRW vom 07.05.2013 – L 18 R 1038/11 – neue Aufmerksamkeit widmen.
Durch die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses als angestellter Rechtsanwalt oder als Justiziar und durch die Aufnahme einer angestellten Nebentätigkeit neben der selbständigen anwaltlichen Tätigkeit entsteht grundsätzlich die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 1 SGB VI. Der Gesetzgeber hat die Problematik, dass die parallele Versicherungspflicht in verschiedenen Versorgungssystemen eine untragbare Belastung für die versicherungspflichtigen Personen darstellt, gesehen. Er hat jedoch nicht vorgesehen, dass im Versorgungswerk versicherte Rechtsanwälte automatisch in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei werden. Er hat nur vorgesehen, dass sich Rechtsanwälte, die im Versorgungswerk versichert sind, von einer zusätzlich entstehenden Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VI befreien lassen können.
Das bedeutet, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht als Rechtsanwalt, als Justiziar und für im Versorgungswerk mitversicherte Nebentätigkeiten einen Antrag des Versicherungspflichtigen und einen Befreiungsbescheid des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung voraussetzt (§ 6 Abs. 3 SGB VI). Der Befreiungsantrag hat eine beschränkte Rückwirkung. Er wirkt nur dann auf den Beginn der Tätigkeit zurück, wenn er binnen 3 Monaten nach Aufnahme der versicherungspflichtigen Tätigkeit gestellt wird (§ 6 Abs. 4 SGB VI).
Wie die neuen Entscheidungen des BSG zeigen, wird die Wirkung des Befreiungsantrags oft verkannt. § 6 Abs. 5 SGB VI sieht nämlich eine beschränkte Wirkung der Befreiung vor. Dort heißt es: „Die Befreiung ist auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt. Sie erstreckt sich in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im voraus begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.“
Diese Regelung wurde in der Vergangenheit dahin (miss-) verstanden, dass man für eine angestellte anwaltliche Tätigkeit, eine Tätigkeit als Justiziar oder eine anwaltsnahe Nebentätigkeit aufgrund der Erstreckung der Verbeitragung durch das Versorgungswerk nach einmaliger Befreiung auch beim Wechsel der jeweiligen Tätigkeit keinen neuen Antrag mehr stellen musste. Die Verwaltungspraxis hat vielfach diesem Verständnis entsprochen.
Die Entscheidungen des BSG vom 31.10.2012 betrafen nicht den Normalfall der Befreiungstatbestände. Die Beschäftigung mit Sonderfällen hat jedoch eine Klarstellung zu § 6 Abs. 5 SGB VI bewirkt, aufgrund deren das Vertrauen auf eine Fortwirkung der Befreiung nicht mehr gerechtfertigt ist.
Das BSG stellt klar, dass der Wortlaut von § 6 Abs. 5 SGB VI nur so verstanden werden kann, dass „mit einer Befreiungsentscheidung keine umfassende Befreiung von der Versicherungspflicht auch für andere als die „jeweilig“ ausgeübte Beschäftigung des Betroffenen in Betracht kommt, selbst wenn ursprüngliche und nachfolgende Erwerbstätigkeiten ähnlich sein mögen“ (BSG vom 31.10.2012 – B 12 R 8/10 R -, RZ. 17).
Konkret hat das zur Folge, dass für jede einzelne grundsätzlich versicherungspflichtige Beschäftigung ein gesonderter Befreiungsantrag gestellt werden muss, der jeweils nur eine beschränkte Rückwirkung hat.
Das Bundesministerium des Inneren hat mit dem Rundschreiben vom 21.11.2013 (D 5-31007/1#5) das Verfahren der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung geregelt. Mit dieser Handlungsanweisung wird zum einen dem Vertrauen auf die bisherige überwiegende Handhabung der gesetzlichen Rentenversicherung Rechnung getragen, indem festgestellt wird, dass für vor dem Stichtag 31.10.2012 aufgenommene Beschäftigungen eine Erstreckung früherer Befreiungsentscheidungen auf Folgetätigkeiten akzeptiert werden soll. Ab dem Tag der Entscheidung des BSG am 31.10.2012 kann jedoch kein Vertrauensschutz mehr in Anspruch genommen werden. Für ab diesem Tag aufgenommene Beschäftigungen besteht Versicherungsfreiheit nur, wenn für diese konkrete Tätigkeit ein Befreiungsantrag gestellt worden ist.
Das gilt für jede angestellte anwaltliche Tätigkeit, jede Tätigkeit als Justiziar und jede Nebenbeschäftigung. Ein Befreiungsantrag ist deshalb zu stellen, wenn ein Wechsel der Tätigkeit als angestellte Rechtsanwalt von einer Kanzlei in eine andere erfolgt, wenn ein Wechsel von einem Arbeitgeber als Justiziar zu einem anderen erfolgt, aber auch, wenn bei demselben Arbeitgeber ein Wechsel des Justiziars von einer Abteilung in eine andere erfolgt und sogar dann, wenn bei demselben Arbeitgeber ein inhaltlicher Wechsel in der Beschäftigung stattfindet.
Die Grenzen der Versicherungsfreiheit werden enger.
Mit dem Inhalt von § 6 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VI befasst sich die – nicht rechtskräftige – Entscheidung des LSG NRW vom 07.05.2013 – L 18 R 1038/11 –. Der Entscheidung liegt die Beschäftigung einer Rechtsanwältin zu Grunde, die in ihrer Beschäftigung als Justiziarin nicht alle vier Kriterien (rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsvermittelnd und rechtsgestaltend) erfüllte. Das LSG NRW sah in diesem Fall die Voraussetzungen für die Befreiung nach § 6 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VI als nicht erfüllt an, so dass eine Befreiung von der Doppelversicherungspflicht nicht möglich war. Die Revision ist beim BSG (- B 12 R 17/13 R -) anhängig. Wir werden nach Erlass der Revisionsentscheidung berichten.