Interview mit dem Justizminister des Landes NRW, Thomas Kutschaty

Dr. Finzel

Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrter Herr Kollege Kutschaty,

inzwischen liegt Ihre Ernennung zum Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen rund 1½ Jahre zurück. Zeit also, sich in das hohe Amt und seine verantwortungsvollen Aufgaben einzuarbeiten. Uns freut es besonders, dass ein Essener Anwaltskollege nun an der Spitze der nordrhein-westfälischen Justiz steht. Die Kolleginnen und Kollegen im Kammerbezirk sind natürlich sehr daran interessiert, Ihre Meinung zu den Fragen, die die Anwaltschaft zur Zeit bewegen, zu hören. Lassen Sie uns also sogleich beginnen:

 

Thomas Kutschaty

Geboren am 12. Juni 1968 in Essen,

verheiratet, eine Tochter und zwei Söhne

 

1987

Abitur am Gymnasium Borbeck

1987-1989

Zivildienst

1989-1994

Jurastudium der Ruhr-Uni Bochum

1995

1. juristisches Staatsexamen Oberlandesgericht Düsseldorf

1995-1997

Rechtsreferendar beim Landgericht Essen

1997

2. juristisches Staatsexamen

1997 bis 14.07.2010

Rechtsanwalt

seit Juni 2005

Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen

seit 15.07.2010

Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen

 

Bitte geben Sie uns ein Zwischenfazit ihrer bisherigen Amtszeit in Düsseldorf: Wo lagen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in den vergangenen Monaten ?

Kutschaty:

Das Justizressort besteht aus 274 Gerichten und Justizbehörden mit über 40.000 Mitarbeitern. Sofort nach Übernahme meines Amts im Juli 2010 habe ich einen intensiven Dialog mit den Bediensteten aller Justizzweige und mit deren Personalvertretungen begonnen. Anregungen und Kritik der Menschen, die für die Justiz in NRW tätig sind, haben für mich eine herausragende Bedeutung. Nach meiner Überzeugung ist es elementar wichtig, alle Beteiligten in die Entscheidungsprozesse einzubinden und für größtmögliche Transparenz zu sorgen.

In diesem Zusammenhang war die Situation vieler befristet Beschäftigter im Servicebereich der Gerichte und Staatsanwaltschaften dringend zu verbessern. Dort sind zahlreiche gut ausgebildete und befähigte Kräfte tätig, die infolge des massiven Stellenabbaus zum Teil seit mehr als einem Jahrzehnt regelmäßig nur jeweils auf ein Jahr befristete Verträge erhalten haben. Dies beeinträchtigt massiv die persönlichen Lebensplanungen. Motivationsverluste, unnötige bürokratische Aufwände und eine Einbuße an Effizienz und Leistungsfähigkeit sind weitere Folgen. Bereits im Haushalt 2011 sind deshalb 200 neue Stellen im mittleren Dienst geschaffen worden und im Haushalt 2012 sind dort weitere 350 neue Stellen vorgesehen. Ich denke, dass sich dies auch positiv in der Zusammenarbeit mit Ihnen bemerkbar machen dürfte.

Ein Schwerpunkt meiner bisherigen Arbeit bestand im Übrigen darin, die konzeptionellen Weichen dafür zu stellen, dass dem Resozialisierungsauftrag des Strafvollzuges stärker Geltung verschafft und eine problemorientierte Betreuung der Gefangenen sichergestellt wird. Dies senkt die Rückfallquote und dient damit nicht nur der Sicherheit der Bevölkerung in unserem Land, sondern minimiert auch die sozialen Folgekosten. Die Resozialisierung ist vor allen Dingen auch der Schutz vor neuen Taten und neuen Opfern.

Zudem wurde die Förderung der Täterarbeit auf den Weg gebracht. Hierbei handelt es sich um ein in Deutschland noch relativ neues Arbeitsfeld auf dem Gebiet der Gewaltvorbeugung. Es handelt sich um ein unterstützendes Angebot zur Verhaltensänderung für gewalttätige Männer. Diesen soll die Fähigkeit vermittelt werden, sich selber besser zu kontrollieren, um neue Gewalttaten zu verhindern. Täterarbeit ist somit bei Straftaten im Zusammenhang mit "häuslicher Gewalt" ein wirksamer Beitrag zum Opferschutz. Bitte bedenken Sie, dass überwiegend Frauen und Kinder von den Taten betroffen sind. Weiter dient die Täterarbeit auch der Haftvermeidung.

Die Reform der Sicherungsverwahrung ist ein weiterer Schwerpunkt gewesen. Das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechenden Bundesgesetze für verfassungswidrig erklärt. Die Länder konnten bei der Bundesjustizministerin, die für die anstehende Neuregelung verantwortlich zeichnet, durchsetzen, dass überraschende Entlassungen von Sicherungsverwahrten künftig weitgehend ausgeschlossen sind. Ein wichtiges Anliegen von mir, dem sich die Justizministerkonferenz angeschlossen hat, lehnt Berlin aber weiterhin auf Kosten der Sicherheit ab: Für die gefährlichsten unter den psychisch gestörten Gewalt- und Sexualstraftätern brauchen wir als letztes Mittel eine nachträgliche Therapieunterbringung, wie sie selbst das Bundesverfassungsgericht anerkennt. Hierfür werde ich mich weiterhin mit meinen Länderkollegen einsetzen.

Der Schutz vor Rückfalltaten steht auch bei zwei weiteren Projekten im Mittelpunkt: Nachdem die gesetzliche Grundlage vorlag, hat Nordrhein-Westfalen als eines der ersten Länder die Voraussetzungen für den Einsatz „elektronischer Fußfesseln“ geschaffen. Außerdem haben wir die Finanzierung von ambulanten Therapien bei entlassenen Sicherungsverwahrten sichergestellt, die andernfalls am Fehlen eines Kostenträgers gescheitert wären.

Einen schöner Erfolg war die am 3. Juni 2011 verkündete Änderung des Nachbarschaftsgesetzes, mit der die energetische Gebäudesanierung gefördert wird. Die Novelle erleichtert die Anbringung von Wärmedämmungen an bestehenden Bauten, um die Energieeffizienz zu erhöhen und sie an den heutigen Stand der Technik anzupassen. Nicht zuletzt wird hierdurch ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz geleistet.

Dr. Finzel:

Und wie sieht Ihr Programm für die weitere Legislaturperiode aus ?

Kutschaty:

Das große Ziel meiner Rechtspolitik ist es, den Rechtsfrieden in unserer Gesellschaft zu sichern und Gerechtigkeit durchzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, werde ich mich auch weiterhin nachdrücklich dafür einsetzen, dass die nordrhein-westfälische Justiz für alle Bürgerinnen und Bürger eine effektive Rechtsprechung und zügige Vollstreckung auf hohem Niveau bietet und auch die mittellose Partei in die Lage versetzt wird, ihre Belange in einer dem Gleichheitsgebot entsprechenden Weise im Rechtsstreit geltend zu machen. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen unabhängig von ihrem Einkommen ihre Rechte durchsetzen können. Und nicht zu vergessen:  Gleicher Zugang zum Recht setzt den gleichen Zugang bereits zur Rechtsberatung im Vorfeld eines Rechtsstreits voraus. Insbesondere Bezieherinnen und Bezieher von SGB II – Leistungen bedürfen ausreichender Beratungsmöglichkeiten.

Darüber hinaus möchte ich den Zugang zum Recht auch und gerade im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs weiterentwickeln. Die Möglichkeiten elektronischer Kommunikation haben sich im Privatleben genauso wie in der Wirtschaft oder in den Verwaltungen längst etabliert und verdrängen die hergebrachte papierbasierte Kommunikation mehr und mehr. Auch im Bereich EGovernment, ein Eckpfeiler der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, sind elektronische Kommunikation und elektronische Akten wesentliche Handlungsfelder. Die Rechtspflege nimmt als fester Bestandteil der Gesellschaft an diesen Entwicklungen unter dem Begriff "eJustice" aktiv teil. Insbesondere die Kommunikation zwischen den Gerichten und der Anwaltschaft soll zunehmend auf elektronischem Wege erfolgen und Arbeitsabläufe auf beiden Seiten optimieren. In den Bereichen, in denen der elektronische Rechtsverkehr bereits obligatorisch eingeführt worden ist - wie beim Handelsregister und beim Mahnantrag - hat er seine Praxistauglichkeit und seinen Nutzen für alle Beteiligten eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle einige Projekte nennen, deren Umsetzung in den nächsten Jahren geplant ist.  Zunächst sei hier die Einführung eines obligatorischen elektronischen Postfachs für Rechtsanwälte genannt.

Für die flächendeckende Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs ist es erforderlich, dass alle Gerichte und alle Rechtsanwälte mit einer für den elektronischen Rechtsverkehr geeigneten Empfangseinrichtung ausgestattet sind. Ziel ist es, dass alle am elektronischen Rechtsverkehr beteiligten Gerichte und Rechtsanwälte über ein gemeinsam adressierbares System miteinander vernetzt werden. Der Anwalt kann dann die von der Justiz an die elektronischen Postfächer versandten elektronischen Dokumente in die anwaltseigenen Fachverfahren integrieren, weiterverarbeiten und nach Bedarf an die Mandantschaft elektronisch weiterleiten.

Desweiteren beabsichtige ich, die Einrichtung eines elektronischen Schutzschriftenregisters, bei dem der Anwalt über eine Eingabemaske die Daten der Antragsgegnerseite selbst eingeben und eine Schutzschrift hochladen kann. Über eine Suchmaske besteht die Möglichkeit, bei Eingang eines Eilantrages von den Gerichten über das Internet nach definierten Kriterien nach dem Vorhandensein einer zugehörigen Schutzschrift zu suchen. Eine Abrufverpflichtung soll die Berücksichtigung der hochgeladenen Schutzschriften gewährleisten. Für die Anwälte ergibt sich ein weiterer Vorteil durch die Ersparnis von Kosten für Ausdruck, Vervielfältigung und Versand.

Als nächstes Teilprojekt soll die bislang umständliche und zeitaufwändige fernmündliche Information der Beteiligten eines Rechtsstreits über den Inhalt verkündeter Entscheidungen durch eine moderne Bereitstellung verkündeter Entscheidungen zum Abruf im Internet für die Beteiligten ersetzt werden. In einem weitergehenden Schritt könnte die Option eingeführt werden, bereits die Verkündung des Tenors einer Entscheidung ins Internet zu verlegen, so dass Ihren Mandanten sowie der Öffentlichkeit die Möglichkeit eröffnet würde, sich rund um die Uhr über das Internet umgehend über ein Verfahrensergebnis zu informieren.

Schließlich soll die Gewährung von Akteneinsicht durch Übersendung elektronischer Zweitakten bzw. Aktenauszügen in allen Verfahrensordnungen ermöglicht und  das herkömmliche Empfangsbekenntnis als Zustellnachweis im elektronischen Rechtsverkehr durch eine automatisierte elektronische Zustellbestätigung ersetzt werden, um überflüssigen und zeitintensiven Verwaltungsaufwand zu vermeiden.

Ich würde mich freuen, wenn die Anwaltschaft die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs unterstützt. Denn nur durch eine Vernetzung von Gerichts- und Anwaltssoftware wird der optimale Nutzen der technischen Möglichkeiten gezogen werden können.

Ich habe noch viel vor, deshalb gestatten Sie mir weitere Programmpunkte meiner Rechtspolitik beispielhaft und schlagwortartige darzustellen:

·     In Kürze wird der fertige Entwurf  des bundesweit ersten Jugendarrestvollzugsgesetz in den Nordrhein-Westfälischen Landtag eingebracht. Der Gesetzentwurf ermöglicht einen zeitgemäßen Jugendarrest, der pädagogischen Gesichtspunkten genügt und für straffällige junge Menschen vielfältige Anstöße zu einem Umdenken gibt, alternative Handlungsformen aufzeigt und professionelle Hilfs- und Beratungsangebote bereitstellt.

·     Gleichzeitig arbeiten wir an einem neuen Strafvollzugsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, das einen modernen Behandlungsvollzug ermöglicht und auch dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis unserer Bevölkerung in ausgeprägter Weise Rechnung trägt.

Schließlich kommt mit dem Betrieb des gemeinsamen Registerportals der nordrhein-west­fälischen Justiz im Bereich der Handelsregister schon seit Jahren eine Führungsrolle für Deutschland zu. Im Rahmen dieser Verantwortung wird die Landesregierung die internationale Verknüpfung der Register und die Zusammenarbeit der registerführenden Stellen mit Mitteln moderner Informationstechnik besonders fördern. Eine verbesserte Vernetzung der Register nutzt Nordrhein-Westfalen nicht nur als bundesweitem Spitzenreiter beim Export, sondern macht es auch internationalen Unternehmen leichter, in Nordrhein-Westfalen zu investieren. Transparenz im internationalen Registerwesen dient der Transparenz im Wirtschaftsleben, erhöht den Rechtsschutz und stärkt letztendlich den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus ist sie ein entscheidender Faktor, um Geldwäsche und grenzüberschreitende Wirtschaftskriminalität wirksam zu bekämpfen.

Dr. Finzel:

Die von Ihnen soeben angesprochene obligatorische Einrichtung eines elektronischen Postfachs für Rechtsanwälte bedeutet für kleinere Kanzleien einen hohen Umstellungs- und Kostenaufwand. Wie stehen Sie hierzu ?

Werden Übergangsfristen in Erwägung gezogen ?

Bejahendenfalls in welchem Umfang ?

Kutschaty:

Die im „Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs in der Justiz“ vorgesehene Verpflichtung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zur Vorhaltung eines Postfachs für den Empfang gerichtlicher elektronischer Dokumente soll erst zwei Jahre nach Verkündung des Gesetzes in Kraft treten. Auf diesem Weg werden die Rechtsanwaltskanzleien an den elektronischen Rechtsverkehr herangeführt und erhalten frühzeitig die Möglichkeit, ihre Organisationsabläufe und gegebenenfalls Anwaltssoftware auf die elektronische Kommunikation vorzubereiten. Die Rechtsanwaltschaft kann die von der Justiz an die elektronischen Postfächer versandten elektronischen Dokumente in die anwaltseigenen Fachverfahren integrieren, weiterverarbeiten und nach Bedarf an die Mandantschaft elektronisch weiterleiten.

Fast alle Kanzleien verfügen doch bereits über eine EDV-Infrastruktur. Zudem können Sie auf die vom Bund und den Ländern entwickelte kostenfreie Software EGVP (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach) zurückgreifen. Im Interesse der Rechtspflege oder zur Vermeidung von Härten ist die Möglichkeit der Befreiung von der Verpflichtung durch die Rechtsanwaltskammer vorgesehen. Schließlich soll für einen Übergangszeitraum von drei Jahren ein einmalig anfallender Auslagentatbestand für den Fall geschaffen werden, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ein elektronisches Postfach unterhalten und über dieses gerichtliche Dokumente sowohl elektronisch empfangen als auch an das Gericht übermitteln.

Insgesamt bin ich optimistisch, denn auch die Umstellung auf das elektronische Mahnbescheidsverfahren hat funktioniert.

Dr. Finzel:

Der jetzt vorliegende Referentenentwurf zum zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ist Ihnen bekannt. Wird Nordrhein-Westfalen die in Berlin beabsichtigte Reform mittragen ?

Kutschaty:

Der Referentenentwurf ist die zweite Stufe einer grundlegenden Reform des Justizkostenrechts. Er schließt an das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz aus dem Jahr 2004 an. Der Entwurf enthält u.a. die grundlegende Reform der Kostenordnung, aber auch umfangreiche Änderungen anderer Kostengesetze. So sollen etwa die Gebühren nach dem Gerichtskostengesetz (GKG) und die Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), die ja zu einem Teil seit dem Jahr 1994 unverändert geblieben sind, an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angeglichen werden.

Dies ist aus meiner Sicht uneingeschränkt richtig, die vorgesehene Reform unterstütze ich daher. Darauf habe ich auch schon anlässlich Ihrer Einladung zum Dämmerschoppen der Rechtsanwaltskammer Hamm und der Westfälischen Notarkammer am 13. Januar 2012 hingewiesen.

Das Bundesministerium der Justiz hat um Stellungnahme zu dem Entwurf gebeten und zu einer ersten Besprechung des Referentenentwurfs im April  eingeladen. Zu den vorgeschlagenen Änderungen im RVG habe ich auch die Anwaltskammern des Landes um Ihre Einschätzung gebeten. Bis Ende März 2012 wird mein Haus eine Stellungnahme erarbeiten und auf ihrer Grundlage die Interessen der Rechtspflege Nordrhein-Westfalens in Berlin vertreten.

Lassen Sie mich noch eines ausdrücklich anfügen:

Die im Entwurf vorgeschlagene Erhöhung der Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte trage ich uneingeschränkt mit. Ich bitte die Anwaltschaft allerdings darum, im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege auch die Gerichtsgebühren mit in den Blick zu nehmen, deren Erhöhung im Referentenentwurf nach Ansicht aller Länder deutlich zu gering ausgefallen ist. 

Dr. Finzel:

Im Zusammenhang mit der vorgesehenen Gebührenerhöhung wird auf den geringen Kostendeckungsgrad in den Länderjustizhaushalten hingewiesen. Ist dieser Einwand eigentlich gerechtfertigt angesichts der Tastsache, dass die Parteien eines Zivilprozesses mit ihren Gerichtsgebühren die erheblichen Ausgaben des Strafvollzugs mitfinanzieren?

Kutschaty:

Der Kostendeckungsgrad der Justiz - ohne den Justizvollzug - lag für das Jahr 2009 bundesweit bei rund 44 %, für Nordrhein-Westfalen bei rund 49 %. Hierbei liegt der Kostendeckungsgrad der ordentlichen Gerichtsbarkeit deutlich höher als bei den Fachgerichtsbarkeiten.

Zweifellos sorgen die einnahmestarken Bereiche dafür, finanzielle Verluste der einnahmeschwächeren Bereiche teilweise auszugleichen. Dies gilt auch für die von Ihnen angesprochenen Zivilprozeßsachen. Die in diesem Gerichtsbereich anfallenden Kosten überwiegen allerdings bereits die hier eingenommenen Gebühren. Für die Mitfinanzierung der Kosten des Strafvollzugs ist mithin kein Raum.

Die Forderung der Länder nach einer deutlichen Erhöhung des Kostendeckungsgrads ist nach meiner Auffassung insgesamt gerechtfertigt.

Einen Kostendeckungsgrad von 100 % wird es aber nicht geben. Gerade Nordrhein-Westfalen hat sich nachhaltig dafür eingesetzt, dass bei sämtlichen Vorschlägen zur Erhöhung des Kostendeckungsgrads der Zugang der Parteien zum Recht keinesfalls gefährdet werden darf und Gebühren nur in dem Maße erhöht werden, wie dies vertretbar ist. Die Funktionsfähigkeit der Justiz muss zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger unseres Landes garantiert werden.

Dr. Finzel:

Das vorgelegte Eckpunktepapier zur Begrenzung der Ausgaben der Beratungs- und Prozesskostenhilfe betrifft primär die Landeskassen. Aber ist es nicht auch so, dass mit Beratungshilfe und PKH der Sozialhaushalt entlastet wird, aus dem eigentlich die Kosten bezahlt werden müssten.

Kutschaty:

Die Ausgaben für Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe und für Beratungshilfe bewegen sich seit einigen Jahren auf  hohem Niveau. Es ist ein Anliegen der Landesregierung, diese Regelungen im Prozessrecht zu überprüfen, wobei allerdings der durch Prozesskosten- und Beratungshilfe gewährleistete Zugang zum Recht unangetastet bleiben muss. Prozesskosten- und Beratungshilfe sind Leistungen der staatlichen Daseinsfürsorge, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ihre Legitimation im Gebot des sozialen Rechtsstaats finden. Zwar ist es aus Sicht des Steuerzahlers letztlich unerheblich, welcher konkrete Haushalt belastet ist.  Ich erwarte jedoch, dass sich der Bund stärker an den Sozialausgaben beteiligt.

Dr. Finzel:

Künftig soll das Gericht in Scheidungsverfahren dem Antragsgegner nur dann einen Rechtsanwalt beiordnen, wenn es aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und der Schutzbedürftigkeit des Antragsgegners einen Bedarf zur Beiordnung sieht. Laufen wir nicht Gefahr, dass dann künftig einer der beiden Ehegatten im Scheidungsverfahren keinen Anwalt mehr im Wege der Verfahrenskostenhilfe erhält? Kann das Gericht die oben genannten Voraussetzungen überhaupt hinreichend sicher feststellen?

Kutschaty:

Die von Ihnen angesprochene Einschränkung der Beiordnungsmöglichkeit eines Rechtsanwalts auf Antragsgegnerseite  im Rahmen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist in dem bereits von Ihnen angesprochenen Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums zur Kostenbegrenzung im Prozesskostenhilferecht vorgesehen. Sollte diese dort vorgeschlagene Änderung Gesetz werden, ist es in der Tat möglich, dass künftig dem Antragsgegner im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe bei einer einvernehmlichen Scheidung kein Rechtsanwalt beigeordnet werden kann. Ich habe keine Bedenken, dass das Gericht die Voraussetzungen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie die Schutzbedürftigkeit des Antragsgegners als Beiordnungsvoraussetzungen sicher feststellen kann. Unbestimmte Rechtsbegriffe müssen von den Gerichten auch in anderen Fällen angewandt werden. Aber wie bereits gesagt: Die Einschränkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Scheidungsverfahren ist bislang erst in einem Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums vorgesehen. Ein Gesetzentwurf liegt bislang nicht vor. Ich werde jedenfalls dafür eintreten, dass auch künftig alle Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von Einkünften und Vermögen die ihnen zustehenden Rechte wahrnehmen können. Sie können deshalb sicher sein, dass ich kritisch prüfen werde, ob eine Einschränkung der Beiordnung diesem Anspruch gerecht wird.

Dr. Finzel:

Nach dem Entwurf eines neuen § 43 d BRAO sollen Rechtsanwälte bei der außergerichtlichen Einziehung von Forderungen aus einem Fernabsatzvertrag oder einem Vertrag im elektronischen Rechtsverkehr gegenüber Verbrauchern, also der Gegenpartei, bestimmte Informationspflichten erfüllen. Dies wird von der Anwaltschaft abgelehnt. Wie stehen Sie hierzu?

Kutschaty:

Die in dem Gesetzesentwurf vorgesehenen Informationspflichten für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte lehne ich ab. Denn hierdurch würden berufsrechtliche Pflichten des Rechtsanwalts zum Schutz und zu Gunsten der gegnerischen Partei statuiert. Weiter wären diese Pflichten geeignet, das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten nachhaltig zu beeinträchtigen. Eine derartige sanktionsbewehrte Berufspflicht erscheint mir auch überflüssig, verpflichtet doch die Bundesrechtsanwaltsordnung jeden Rechtsanwalt zur Sachlichkeit. Daher ist die Einziehung von Forderungen, von denen der Rechtsanwalt weiß, dass sie nicht bestehen, schon nach der derzeitigen Rechtslage verboten. Im Übrigen ist es kaum nachvollziehbar, dass derartige Informationspflichten nur den Rechtsanwalt treffen sollen, nicht aber den vertragsschließenden Unternehmer, wenn er die Forderung selbst und ohne fremde Hilfe einzieht.

Dr. Finzel:

Das nordrhein-westfälische Bürokratieabbaugesetz, mit dem das verwaltungsrechtliche Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO weitgehend abgeschafft worden ist, läuft zum 31.10.2012 aus. Derzeit wird es evaluiert. Zeichnet sich schon ein Ergebnis ab?

 

Kutschaty:

Die Auswirkungen des Gesetzes  werden vor dem Hintergrund seiner Befristung und eines entsprechenden Prüfauftrages aus dem Koalitionsvertrag der die Landesregierung bildenden Parteien derzeit sehr sorgfältig überprüft. Der Diskussionsprozess in der Landesregierung ist angesichts der komplexen Materie noch nicht abgeschlossen. Die Landesregierung wird dem Gesetzgeber rechtzeitig einen Vorschlag für das weitere Vorgehen unterbreiten.

Dr. Finzel:

In Verwaltungsangelegenheiten nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (insbesondere Zulassungs- und Fachanwaltsangelegenheiten) haben sich die drei NRW-Rechtsanwaltskammern dafür ausgesprochen, auch weiterhin auf ein Widerspruchsverfahren zu verzichten. Wie stehen Sie hierzu?

Kutschaty:

Vor dem Hintergrund, dass die Evaluierung noch nicht abgeschlossen ist, wäre eine abschließende Beurteilung verfrüht.  Wichtig ist, dass der individuelle Rechtsschutz des Rechtsanwalts gewährleistet ist, aber auch andererseits die Handlungsfähigkeit der Anwaltsgerichtsbarkeit bestehen bleibt.

Dr. Finzel:

Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Mediationsgesetzes vorgelegt. Die bisherige Mediationstrias (außergerichtliche, gerichtsnahe und gerichtsinterne Mediation) wird abgeschafft. Aus dem richterlichen Mediator soll der Güterichter werden. Für die Aus- und Fortbildung von Mediatoren sollen konkrete Qualitätsstandards eingeführt werden. Die Anwaltschaft begrüßt den Entwurf. Was halten Sie davon?

Kutschaty:

Sie sprechen zwei Aspekte an, die ich klar trennen möchte: Zunächst ist festzuhalten, dass ein konkreter gesetzlicher Ausbildungs- und Handlungsrahmen für Mediatorinnen und Mediatoren überfällig ist. Die Mediation kann in geeigneten Fällen Zeit und Kosten sparen. Sie schafft dort Rechtsfrieden und bringt Lösungen hervor, die regelmäßig von beiden Seiten als gerecht empfunden werden. Im Idealfall findet sie in einem sehr frühen Zeitpunkt statt und vermeidet gerichtliche Auseinandersetzungen. Hier sind Sie gefragt, mediationsgeeignete Fälle zu erkennen und den Beteiligten in jeder Phase eines Konflikts kompetente Angebote zu machen.

Mit der Förderung der Mediation ist es aber aus meiner Sicht nicht zu vereinbaren, wenn die Bundesregierung - und hiermit komme ich zum zweiten Aspekt - den Bürgerinnen und Bürgern, die sich erst nach Klageerhebung zu einer Mediation entschließen, ein hochwirksames und bewährtes Instrument der konsensualen Konfliktbeilegung, die gerichtsinterne Mediation, nehmen will. Lassen Sie mich Ihnen einige Zahlen nennen: Derzeit haben die Streitparteien bei 60 nordrhein-westfälischen Gerichten nahezu aller Fachrichtungen die Möglichkeit, die gerichtsinterne Mediation zu nutzen. Sozialwissenschaftliche Begleitstudien haben gezeigt, dass 97% der Anwältinnen und Anwälte und 94% der Parteien mit dem Verfahren zufrieden sind und ein nahezu ebenso hoher Anteil auch mit dem gefundenen Ergebnis. Selbst in Verfahren, die nicht mit einer Vereinbarung enden, liegt die Zufriedenheit mit dem Verfahren bei den Anwältinnen und Anwälten bei 91% und bei den Parteien bei 80%.

Die Verhandlung vor einem Güterichter bietet keinen gleichwertigen Ersatz für eine Mediation. Zwar wird behauptet, die gerichtsinterne Mediation lebe im Güterichtermodell fort. Eine überzeugende rechtliche Begründung für diese Behauptung sind die Befürworter des Güterichtermodells bislang jedoch schuldig geblieben. Noch im Regierungsentwurf zum Mediationsgesetz werden allein acht Punkte aufgeführt, in denen sich das Güterichtermodell grundlegend von der Mediation unterscheidet.

Im Interesse der rechtssuchenden Bürgerinnen und Bürger will ich sicherstellen, dass ihnen an den Gerichten die Mediation auf verlässlicher rechtlicher Grundlage angeboten werden kann. Daher habe ich mich persönlich dafür eingesetzt, dass der Bundesrat mit breiter Mehrheit die Einberufung eines Vermittlungsausschusses zum Mediationsgesetz beantragt hat. Ziel ist es, die gerichtsinterne Mediation gesetzlich zu verankern.

Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die hierin lediglich eine Konkurrenz zur außergerichtlichen Mediation sehen, weise ich darauf hin, dass ein Verzicht auf die gerichtsinterne Mediation den anwaltlichen Mediatorinnen und Mediatoren keine zusätzlichen Aufträge brächte. Es ist vor allem ein Verdienst der gerichtsinternen Mediation, dass inzwischen mehr als die Hälfte der Deutschen schon einmal von Mediation gehört hat. Dieser „Werbeeffekt“ ist für die außergerichtliche Mediation von unschätzbarem Wert.

Dr. Finzel:

Auf Antrag der Länder Nordrhein-Westfalen und Hamburg liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für Internationale Handelssachen vor. Hier sollen Rechtsstreitigkeiten in englischer Sprache geführt werden können. Dies soll den Gerichtsstandort Deutschland stärken. Die Anwaltschaft begrüßt den Entwurf. Meine Frage: Soll sich das Gesetz nur auf die Kammern bei den Landgerichten erstrecken oder auch auf die Senate bei den Oberlandesgerichten? Ist auch für den Kammerbezirk Hamm die Einrichtung von Kammern/Senaten für Internationale Handelssachen vorgesehen?

Kutschaty:

Das Gesetz zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen soll sich auch auf die Senate bei den Oberlandesgerichten erstrecken. Zwar werden durch das Gesetz nicht ausdrücklich „Senate für internationale Handelssachen“ eingerichtet. In § 184 Abs. 2 Satz 1 GVG-E ist jedoch bestimmt, dass nicht nur vor den Kammern für internationale Handelssachen, sondern auch vor den für Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Kammern für internationale Handelssachen zuständigen Senaten der Oberlandesgerichte das Verfahren in englischer Sprache geführt wird. Dabei erscheint es sinnvoll, wenn die Oberlandesgerichte in ihren Geschäftsverteilungsplänen die entsprechende Zuständigkeit bei bestimmten Senaten konzentrieren, um dort die vor Ort vorhandene fremdsprachliche Kompetenz  bündeln zu können.

Für Nordrhein-Westfalen ist noch nicht bestimmt, bei welchen Landgerichten Kammern für internationale Handelssachen eingerichtet werden. Das Gesetz tritt ein Jahr nach seiner Verkündung in Kraft. Dies gibt uns genügend Zeit, um die mit der Einführung der neuen Spruchkörper verbundenen organisatorischen Fragen zu lösen. Ich gehe jedoch schon heute davon aus, dass in einem großen Bundesland wie Nordrhein-Westfalen mit seiner international ausgerichteten Wirtschaft und Anwaltschaft auf jeden Fall mehrere Kammern für internationale Handelssachen eingerichtet werden sollten.

Dr. Finzel:

Die Zusammenlegung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit ist durch den bekannten Beschluss der Justizministerkonferenz erneut ins Gerede gekommen. Uns Anwälten sagt man völlig zu Recht: Die Zukunft liegt in der Spezialisierung. Bei uns Anwälten sind Verwaltungsrecht einerseits und Sozialrecht andererseits Spezialgebiete. Warum soll dies eigentlich in der Gerichtsbarkeit anders sein? Wie stehen Sie zu der Zusammenlegung?

Kutschaty:

Eine Zusammenlegung von Verwaltungsgerichtsbarkeit und Sozialgerichtsbarkeit halte ich für falsch. Dies haben wir auch im Koalitionsvertrag so festgelegt. Eine Zusammenlegung wird daher von der Landesregierung abgelehnt.

Dr. Finzel:

Nach Neufassung des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist dem Beschuldigten unverzüglich nach Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Die drei nordrhein-westfälischen Rechtsanwaltskammern haben hierzu Pflichtverteidigerlisten auf ihre Internetseiten eingestellt. Im Justizintranet wurde ein Link auf diese Listen eingerichtet, so dass alle Justizbediensteten des Landes sie in ihrer jeweils aktuellen Fassung abrufen können. Wie sind ihre  Erfahrungen: Werden die Listen von den Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden genutzt ?

Kutschaty:

Um auf die Pflichtverteidigerlisten der nordrhein-westfälischen Rechtsanwaltskammern hinzuweisen, habe ich nicht nur im Justizintranet einen Link hierauf eingerichtet. Zusätzlich habe ich die staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Praxis entsprechend informiert und das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen gebeten, die Polizeibehörden zu unterrichten, dass entsprechende Listen über die Internetseiten der Rechtsanwaltskammern abgerufen werden können. Dieser Bitte hat das Ministerium für Inneres und Kommunales entsprochen.

Die Pflichtverteidigerlisten der Rechtsanwaltskammern werden von den Gerichten und Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen genutzt, wenn auch nur in verhältnismäßig geringem Umfang. Dies hat, wie mir die Praxis berichtet hat, mehrere Gründe: So würden Beschuldigte meist die ihnen ebenfalls angebotene Kontaktaufnahme mit dem Anwaltsnotdienst bevorzugen. Zudem gebe es regelmäßig vor Ort eine ausreichende Zahl an geeigneten Verteidigern, auf die zurückgegriffen werden könne, wenn Beschuldigte - was den Regelfall darstelle - nicht selbst einen Pflichtverteidiger benennen würden. Orien­tierung böten dabei auch die Listen der örtlichen Anwaltsvereine.

Dr. Finzel:

Die Anwendbarkeit des Bundesdatenschutzgesetzes auf Rechtsanwälte und die Frage der datenschutzrechtlichen Aufsicht über Rechtsanwälte wird, wie zuletzt eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin zeigt, sehr streitig diskutiert.

Wie sehen Sie bei mandatsbezogener Informationsverarbeitung das Verhältnis der Vorschriften des BDSG und des anwaltlichen Berufsrechts zueinander?

Kutschaty:

Das Bundesdatenschutzgesetz ist auch auf die mandatsbezogene Informationsverarbeitung der anwaltlichen Tätigkeit anwendbar. Das anwaltliche Berufsrecht stellt keine bereichsspezifische Sonderregelung dar, die dem BDSG vorgehen würde. Denn die berufsrechtlichen Vorschriften der BRAO betreffen ganz überwiegend den Schutz des Mandanten und das öffentliche Interesse an einer funktionierenden Rechtspflege, nicht aber den Schutz von Dritten, insbesondere nicht der Gegner des Mandanten. Demgegenüber schützt das BDSG sämtliche Personen, die durch den Umgang der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts mit personenbezogenen Daten in ihrem Persönlichkeitsrecht tangiert werden. Das anwaltliche Berufsrecht verdrängt also nicht etwa das gesamte Datenschutzrecht. Allerdings darf der Schutz der anwaltlichen Vertrauensbeziehung nicht durch den Datenschutz unterlaufen werden. Daher meine ich, dass die Normen des BDSG, deren Anwendung zu einer Verletzung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht führen und die Rechtsanwältin oder den Rechtsanwalt so der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen aussetzen würden, nicht anwendbar sind. Grundsätzlich gilt aber, dass auch bei mandatsbezogener Tätigkeit das berufliche Geheimhaltungsrecht und das Datenschutzrecht nebeneinander stehen.

Dr. Finzel:

Auf dem letztjährigen Deutschen Juristentag in Berlin wurde insbesondere über "Die Zukunft der freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung" diskutiert. Hierzu kurz folgende Fragen:

a)

Gibt es Überlegungen dazu, die in § 59 a BRAO geregelte berufliche Zusammen­arbeit auszuweiten?

Kutschaty:

Die in § 59 a BRAO getroffene Regelung halte ich grundsätzlich für sachgerecht. Sie ermöglicht es einerseits, dass sich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte mit Angehörigen anderer Berufsgruppen, deren Arbeit Überschneidungen zu der anwaltlichen Berufstätigkeit aufweisen, zur gemeinschaftlichen Berufsausübung zusammenschließen können. Andererseits wahrt sie auch die berechtigten Belange der Rechtsuchenden, indem der Kreis der sozietätsfähigen Berufe auf Berufe mit einer dem Rechtsanwalt vergleichbar strengen Pflichtenstellung begrenzt ist. Ich denke hier vor allem an die Unabhängigkeit, die Verschwiegenheitspflicht und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Eine Ausweitung des § 59 a BRAO halte ich allenfalls in Bezug auf einzelne Berufe für erwägenswert, etwa im Hinblick auf als Mediatorinnen und Mediatoren tätige Diplompsychologen und Sozialtherapeuten. Hier wäre dann aber der Bundesgesetzgeber gefordert. Die europarechtlichen Bedenken, die gegen die geltende Regelung zur beruflichen Zusammenarbeit vereinzelt vorgetragen werden, sind meines Erachtens unbegründet. So erlaubt die Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt ausdrücklich die Einschränkung der gemeinschaftlichen und partnerschaftlichen Ausübung bei Angehörigen reglementierter Berufe, zu denen auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gehören.

Dr. Finzel:

Wie stehen Sie zu der in England und Wales eingeführten Fremdkapitalbeteiligung an Anwaltspraxen?

Kutschaty:

Die von Ihnen angesprochene Fremdkapitalbeteiligung an Anwaltskanzleien lehne ich ab. Aus gutem Grund sieht die Bundesrechtsanwaltsordnung vor, dass Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft nur Rechtsanwälte und Angehörige der nach § 59 a BRAO sozietätsfähigen Berufe sein können, und dass die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte den Rechtsanwälten zustehen muss. Denn die anwaltliche Unabhängigkeit, die schließlich zum Kernbereich der beruflichen Stellung des Rechtsanwalts gehört, manifestiert sich gerade auch in der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit kann meines Erachtens nur dadurch gewahrt werden, dass eine externe Einflussnahme verhindert und der Einfluss berufsfremder Kapitaleigner zuverlässig ausgeschlossen wird. Zudem sehe ich, insbesondere aus anwaltlicher Sicht, für eine Fremdkapitalbeteiligung an Anwaltspraxen auch kein praktisches Bedürfnis.

Dr. Finzel:

c)

Sollte es für alle Rechtsanwälte eine überprüfbare und sanktionsbewehrte allgemeine Fortbildungspflicht geben?

Kutschaty:

Zunächst begrüße ich es, dass der Gesetzgeber nach jahrzehntelanger Diskussion die anwaltliche Fortbildungspflicht vor geraumer Zeit in den Katalog der beruflichen Grundpflichten des § 43 a BRAO aufgenommen hat. Ich habe den Eindruck, dass die große Mehrheit der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte diese Fortbildungspflicht ernst nimmt. Da die Zahl der Fachanwältinnen und Fachanwälte immer größer wird und eine Verletzung der Fortbildungspflicht für diesen Personenkreis sanktionsbewehrt ist, wird die Zahl der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die ihrer Fortbildungspflicht - bedauerlicherweise - nicht nachkommen, nach meiner Einschätzung ohnehin immer mehr abnehmen. Eine Möglichkeit, die Einhaltung der Fortbildungspflicht zu sichern, sehe ich darin, die Satzungskompetenz des § 59 b BRAO auch auf diese an sich selbstverständliche Grundpflicht zu erweitern, so dass in der BORA eine detaillierte Regelung der Fortbildungspflicht aufgenommen werden könnte. Denn eine Sanktionierung scheitert doch nach derzeitiger Rechtslage letztlich fast immer daran, dass die Fortbildungspflicht des § 43 a Abs. 6 BRAO zu unbestimmt ist, um eine Verletzung dieser Pflicht feststellen zu können. Ich halte es überdies für wichtig, bezahlbare Fortbildungen gerade für Berufseinsteiger anzubieten, um ihnen trotz der mitunter schwierigen Einkommenssituation zu Beginn ihrer anwaltlichen Tätigkeit eine qualitativ hochwertige Arbeit zu ermöglichen und so auch weiterhin eine gut funktionierende Rechtspflege zu sichern.

Dr. Finzel:

Welcher „Job“ ist schöner: Anwalt oder Justizminister ?

Kutschaty:

Rechtsanwalt zu werden war mein Wunschberuf. Nach meinem zweiten Staatsexamen habe ich immerhin 13 Jahre als Rechtsanwalt gearbeitet. Ich habe den Menschen dabei geholfen, ihre Sorgen und Nöte zu meistern. Das hat mir immer viel Freude gemacht. Das Amt des Justizministers ist eine große Ehre und Herausforderung zugleich. Ich kann in meiner Funktion als Minister die Aufgaben als Jurist und Politiker miteinander vereinen.

Dr. Finzel:

Herr Minister, vielen Dank für das Gespräch.