Die Problematik von Rationalisierungsabkommen mit Rechtsschutzversicherungen am Beispiel des aktuellen Rahmenabkommens der HUK-Coburg-Rechtsschutzversicherungs-AG
von Rechtsanwalt und Notar Joachim Teubel
Eine Vielzahl von Rechtsschutzversicherungen bietet Anwälten den Abschluss von Rahmen- oder Rationalisierungsabkommen an. Diese Abkommen unterscheiden sich erheblich, laufen im Ergebnis aber darauf hinaus, dass die betreffenden Anwälte sich verpflichten, gegenüber der jeweiligen Rechtsschutzversicherung niedrigere als die gesetzlichen Gebühren abzurechnen in der Erwartung, auf Empfehlung der Rechtsschutzversicherung weitere Mandate zu erhalten. Ob dieses Geschäftsmodell für den jeweiligen Anwalt erfolgversprechend ist, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls stellt die Unterschreitung der derzeitigen gesetzlichen Vergütung die Notwendigkeit der Anhebung der gesetzlichen Vergütung in Frage. Wer ein solches Abkommen abschließt, kann schwerlich erwarten, dass gleichzeitig die Standesvertreter den Gesetzgeber davon überzeugen, dass die gesetzliche Vergütung mehr, als vom zuständigen Ministerium bisher freiwillig vorgeschlagen, angehoben werden muss.
Unabhängig von diesen grundsätzlichen Überlegungen sollen am Beispiel eines von der HUK-Coburg-Rechtsschutzversicherung in jüngster Zeit vorgelegten Rahmenabkommens Fallstricke erörtert werden:
Ziffer 4.3 lautet:
Die Kanzlei bearbeitet das Mandat unter Beachtung der anwaltlichen  Kostenminderungspflicht. Soweit sich aus der Kostenminderungsobliegenheit nach § 82 VVG für den Versicherungsnehmer weitergehende Obliegenheiten zur Minderung der Kosten ergeben, wird die Kanzlei ihren Mandanten hierauf und auf die möglichen Auswirkungen auf die Kostenerstattungsfähigkeit in Textform hinweisen und die HCR hierüber im Zuge der weiteren Korrespondenz im Schadenfall informieren. In geeigneten Fällen soll die Möglichkeit einer Teil- oder Sammelklage bzw. Klageerweiterung erwogen werden.
Der Anwalt ist gegenüber dem Mandanten zur umfassenden Wahrnehmung der Interessen des Mandanten verpflichtet. Ein Gesichtspunkt kann dabei die Kostenminderung sein. Vorrangig ist aber immer die Weisung des Mandanten, der durchaus auch höhere Kosten in Kauf nehmen kann. Im Übrigen kann es dem Interesse des Mandanten auch dienen, wenn statt des kostengünstigsten der sicherste Weg gewählt wird. Selbstverständlich können Rechtsschutzversicherungen ihren Versicherten weitere Pflichten auferlegen, soweit das AGB-rechtlich zulässig ist. Es wird in der Regel auch zu den Pflichten des Anwaltes gehören, den Mandanten über mögliche Verstöße gegen versicherungsrechtliche Obliegenheiten zu belehren.
Es verstößt aber gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht – diese besteht gegenüber dem Mandanten und nicht gegenüber der Rechtsschutzversicherung – die Rechtsschutzversicherung über eine derartige Belehrung des Mandanten zu informieren, mit der für den Mandanten nachteiligen Folge, dass die Rechtsschutzversicherung ganz oder teilweise ihren Rechtsschutz versagen könnte.
In II. wird eine Abrechnungsvereinbarung für außergerichtliche Tätigkeiten getroffen.
Eingangs heißt es:
Die gesetzlichen Gebühren für die gerichtliche Tätigkeit der Kanzlei bleiben von dieser Vereinbarung unberührt. Soweit im Einzelfall die Vergütung nicht in einem unangemessenen Verhältnis zur Leistung, Verantwortung oder Haftungsrisiko der Kanzlei steht, gilt für die Vergütung im außergerichtlichen Bereich Folgendes:
Es ist zutreffend, dass – auch im Wege des Vertrages zugunsten Dritter – über die Tätigkeit in außergerichtlichen Angelegenheiten Vereinbarungen getroffen werden können, die zu einer niedrigeren als der gesetzlichen Vergütung führen (§ 4 Abs. 1 RVG). Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 RVG muss die vereinbarte niedrigere Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen. Während nach der gesetzlichen – berufsrechtlich für den Anwalt zwingenden – Regelung das angemessene Verhältnis zur Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts Wirksamkeitsvoraussetzung für die Vereinbarung einer niedrigeren Vergütung als der gesetzlichen ist, kehrt das Rahmenabkommen das Regel-/Ausnahmeverhältnis um, die vereinbarte Vergütung soll wirksam sein, es sei denn, die vereinbarte Vergütung steht im Einzelfall in einem unangemessenen Verhältnis zur Leistung, Verantwortung oder Haftungsrisiko der Kanzlei.
Ziffer II. 1.:
Die Kanzlei wird im Regelfall keine Vorschüsse auf die bei ihr entstehenden Gebühren anfordern. Eine Ausnahme gilt für Deckungszusagen, die unter Vorsatz-Vorbehalt erteilt wurden.
Die u.a. der Liquidität der Kanzlei dienende Vorschussregelung in § 9 RVG, wonach grundsätzlich für entstandene und voraussichtlich entstehende Gebühren und Auslagen ein angemessener Vorschuss verlangt werden kann, wird zu Lasten der Anwälte aufgehoben.
Ziffer II. 2.:
Erstberatungen werden mit einer Pauschale in Höhe von 80,00 Euro, alle weiteren Beratungen, unter Anrechnung der Erstberatungsgebühr mit   einer Pauschale in Höhe von 120,00 Euro abgerechnet. Eine Erhöhung wegen der Beratung mehrerer Mandanten in gleicher Sache erfolgt nicht. Die Beratung zeigt Möglichkeiten konsensualer oder kontradiktorischer Verfahren auf, kann dem Mandanten aber auch lediglich als erste rechtliche Orientierung dienen.
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG beträgt die Vergütung für ein erstes Beratungsgespräch eines Verbrauchers höchstens 190,00 Euro, die Gebühr für die weitergehende Beratung eines Verbrauchers höchstens 250,00 Euro.
Eine vertragliche Vereinbarung zugunsten des Mandanten ist im Rahmen von § 4 Abs. 1 RVG grundsätzlich zulässig, wobei die Rahmenvereinbarung nicht nur für die Beratung von Verbrauchern, sondern auch für Unternehmer gilt. Auch wenn im Einzelfall bei Abrechnung nach § 34 RVG in seltenen Ausnahmefällen die angemessene Gebühr unter 80,00 Euro bzw. 120,00 Euro liegen kann, wirkt sich die Vereinbarung regelmäßig so aus, dass die angemessene Vergütung unterschritten wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Erhöhung nach VV 1008 für die Beratung mehrerer Mandanten abbedungen wird. Wenn die Beratung darauf beschränkt werden soll, dem Mandanten Möglichkeiten konsensualer oder kontradiktorischer Verfahren aufzuzeigen oder auch lediglich zur ersten rechtlichen Orienierung dienen soll, kann durch Vereinbarung zwischen Anwalt und Rechtsschutzversicherung nicht die Verpflichtung aus dem Anwaltsvertrag eingeschränkt werden. Der Anwalt ist selbstverständlich auch im Rahmen einer ersten Beratung zur vollständigen und richtigen Beratung des Mandanten verpflichtet.
Ziffer II. 3.:
Die Geschäftsgebühr wird mit einem Satz von 1,0 aus Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG abgerechnet. Erhöhungen für mehrere Auftraggeber (Nr. 2008 VV) werden nicht in Ansatz gebracht. Besonders schwierige oder/ und umfangreiche Angelegenheiten können nach vorheriger Absprache individuell abgerechnet werden.
Der gesetzliche Rahmen für die Geschäftsgebühr nach VV 2300 beträgt 0,5 bis 2,5, die in nicht umfangreichen oder schwierigen Angelegenheiten in im Übrigen durchschnittlichen Fällen abzurechnende Gebühr beträgt nach der Anmerkung zu VV 2300 1,3. Die Vereinbarung bedeutet also eine deutlich abgesenkte Gebühr gegenüber der gesetzlichen Gebühr, was durch Vereinbarung nach § 4 Abs. 1 grundsätzlich zulässig sein wird, es fehlt aber die in jedem Falle zu treffende Überprüfung, ob die vereinbarte Vergütung von 1,0 in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts steht.
Das gilt erst recht, wenn mehrere Auftraggeber vorhanden sind. Schon bei drei Auftraggebern unterschreitet die vereinbarte 1,0fache Gebühr die gesetzliche Mindestgebühr von 1,1.
Der Vorbehalt für besonders schwierige oder/und umfangreiche Angelegenheiten ist geknüpft an die vorherige Absprache, ohne dass der Anwalt vor Tätigkeit weiß, ob es sich um eine besonders schwierige oder/und umfangreiche Angelegenheit handelt.
Ziffer II. 4.:
In außergerichtlichen arbeitsrechtlichen Bestandsschutzangelegenheiten wird als Gegenstandswertobergrenze die Zugrundelegung dreier Bruttomonatsgehälter vereinbart. Alle weiter geltend gemachten Ansprüche (Zeugnis, Weiterbeschäftigungsanspruch, Lohnansprüche ab dem Zeitpunkt der Kündigung, Arbeitspapiere, Urlaubsabgeltung, Überstunden, u.Ä.) erhöhen die Gegenstandswertobergrenze nicht, es sei denn die Komplexität der Sache erfordert dies. Der Rechtsanwalt wird in Erfüllung seiner von der Rechtsprechung auferlegten Hinweis- und Beratungspflichten im wohlverstandenen Interesse des Mandanten diesem die Erteilung eines unbedingten Klageauftrags empfehlen, sofern gesetzliche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen. Im Falle eines Vergleichs, dessen Wert höher ist als drei Bruttomonatsgehälter, soll nur die Einigungsgebühr aus einem Wert von vier Bruttomonatsgehältern berechnet werden. Von diesem Vorgehen kann in begründeten Einzelfällen in gemeinsamer Absprache der Parteien abgewichen werden, wenn die sich so errechnende Einigungsgebühr der Angelegenheit nicht gerecht wird.
Diese Regelung betrifft die Abrechnung in arbeitsrechtlichen Mandaten für die außergerichtliche Tätigkeit. Hier wird zunächst in vielen Fällen der Gegenstandswert gegenüber der gesetzlich vorgesehenen Berechnung herabgesetzt.
Ist dem Mandanten gekündigt worden, soll der Anwalt auf die Erteilung eines unbedingten Klageauftrages hinwirken, weil dann auch bei außergerichtlichen Verhandlungen über die Vermeidung des Kündigungsschutzprozesses das Entstehen der Geschäftsgebühr nach VV 2300 vermieden wird. Aufgrund des Mandatsverhältnisses ist der Anwalt keineswegs zu einem solchen Rat verpflichtet, zumal die Vorstellung des Mandanten zutreffend in der Regel davon ausgehen wird, dass außergerichtliche Verhandlungen gerade dazu dienen sollen, eine Klage zu vermeiden, also noch gar kein Grund besteht, einen unbedingten Klageauftrag zu erteilen.
Unklar bleibt, ob die Berechnung des Gegenstandswertes des Vergleiches nur den außergerichtlichen Vergleich oder auch den gerichtlichen Vergleich meint, Letzteres wäre unzulässig.
Ziffer II. 5.:
Betragsrahmengebühren werden im außergerichtlichen Bereich mit der Mittelgebühr abzüglich eines Nachlasses von 19 % abgerechnet.
Unklar bleibt, ob das auch für die nach II. Ziffer 3. auf 1,0 herabgesetzte Geschäftsgebühr gilt, hier also ein doppelter Nachlass vereinbart wird, im Übrigen widerspricht der generelle Nachlass wiederum § 4 Abs. 1 Satz 2 RVG.
Ziffer V.:
Die Parteien vereinbaren Stillschweigen über Abschluss, Inhalt und Durchführung dieser Vereinbarung.
Gemäß § 56 Abs. 1 BRAO hat der Rechtsanwalt in Aufsichts- und Beschwerdesachen dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer Auskunft zu geben sowie auf Verlangen seine Handakten vorzulegen. Das gilt nicht, wenn und soweit der Rechtsanwalt dadurch seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit verletzt.
Gemeint ist in § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO nicht eine mit einer Rechtsschutzversicherung vereinbarte Verschwiegenheitspflicht, sondern die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht nach § 43 a Abs. 2 BRAO.
Durch die besondere Vereinbarung über die Verschwiegenheitspflicht mit der Rechtsschutzversicherung soll ersichtlich die Möglichkeit der Rechtsanwaltskammern, die Einhaltung des Berufsrechts zu überwachen, eingeschränkt werden.
Die vielfältigen Herabsetzungen der gesetzlichen Vergütung geben Anlass zu folgendem Hinweis:
Kostenerstattungsansprüche, auch soweit sie außergerichtliche Anwaltskosten etwa bei der Geltendmachung von Verzugsschäden beinhalten, setzen immer voraus, dass dem Mandanten ein entsprechender Schaden entstanden ist, er also gegenüber dem Anwalt die geltend gemachten Kosten erstattet hat oder jedenfalls verpflichtet ist, dem Anwalt diese Kosten zu erstatten.
Wird von vornherein durch eine Rahmenvereinbarung der Vergütungsanspruch des Anwaltes herabgesetzt, entsteht dem Mandanten nur ein Kostenschaden in Höhe der herabgesetzten Vergütung. Das bedeutet, dass in der Kostenerstattung auch nur die herabgesetzte Vergütung geltend gemacht werden darf. Sollte ein Anwalt in der Kostenerstattung die volle gesetzliche Vergütung verlangen, obwohl er durch Rahmenvereinbarung gegenüber dem Mandanten und dessen Rechtsschutzversicherung nur eine herabgesetzte Vergütung verlangen kann, handelt es sich im Regelfall um einen versuchten Betrug.
Das bedeutet zugleich, dass in vielen Fällen das Rahmenabkommen dazu führt, dass ein kostenerstattungspflichtiger Gegner, der die Kosten aus Verzugs- oder sonstigen Schadensersatzgründen zu erstatten hat, nur noch einen geringeren Schaden zu ersetzten hat. Das muss beachtet werden.