Zum Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer betreiben als Gesellschafter bürgerlichen Rechts eine Anwaltskanzlei. Sie stellten im Jahre 1999 den Rechtsanwalt L. an, der auch im Briefkopf der Kanzlei neben den drei Sozien genannt wurde. Zuvor war Rechtsanwalt L. in einer anderen ortsansässigen Sozietät als angestellter Rechtsanwalt beschäftigt und auf deren Briefbogen geführt. Zum Zeitpunkt des Wechsels bearbeiteten beide Kanzleien neun gegeneinander geführte Verfahren, in denen sie als Auftragnehmer jeweils die gegnerische Partei vertraten. Weder in der abgebenden, noch in der Rechtsanwalt L. aufnehmenden Kanzlei war Rechtsanwalt L. mit der Bearbeitung der Fälle befasst.
Die aufnehmende Kanzlei wurde von der zuständigen RAK verpflichtet, die gegenseitig geführten Mandate niederzulegen und dies schriftlich der Kammer zu bestätigen. Im gerichtlichen Verfahren hob der Anwaltsgerichtshof zunächst die Verpflichtungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer auf; der BGH bestätigte anschließend die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer (NJW 2001, S. 1572). Nachdem die von dem Wechsel betroffenen Mandanten beider Kanzleien keine widerstreitenden Interessen gesehen und sich mit der Fortführung der Mandate ausdrücklich einverstanden erklärt hatten, setzte das BVerfG zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung des Beschlusses des BGH aus (NJW 2001, S. 1562). Nun hat das BVerfG in der Hauptsache entschieden.
In dem Beschluss stellt das Gericht klar, dass zu der grundrechtlich geschützten anwaltlichen Berufsausübung wesentlich die Vertretung von Mandanten gehöre. Die Verpflichtung zur Mandatsbeendigung als Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dürfe hiernach nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, dass den Anforderungen von Art. 12 Abs. 1 GG genügt.
Das BVerfG nennt als Gesetzeszweck des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen zum einen den Schutz des individuellen Vertrauensverhältnisses zum Mandanten sowie die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts. Zum anderen diene es aber auch der im Interesse der Rechtspflege gebotenen Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung. Beide Schutzgüter seien indes im vorliegenden Fall nicht betroffen.
Der Schutz des individuellen Vertrauensverhältnisses zum Mandanten und die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts sei im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht gefährdet, da die vom Kanzleiwechsel betroffenen Mandanten beider Seiten mit der Fortführung der Mandate auf beiden Seiten sich einverstanden erklärt hatten. Das BVerfG führt aus, in einem solchen Fall könne der Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit und der Erhalt des konkreten Vertrauensverhältnisses zum Mandanten nicht als Gemeinwohlgründe angeführt werden.
Zu der im Interesse der Rechtspflege gebotenen Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung äußert sich das BVerfG umfassender: Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setze – für den Mandanten unverfügbar – den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus. Rechtsanwaltskammern und Gerichten sei es jedoch verwehrt, abstrakt und verbindlich festzulegen, was den Interessen des eigenen Mandanten und damit zugleich der Rechtspflege diene. Vielmehr habe in erster Linie der Mandant zu entscheiden, ob infolge eines Sozietätswechsels eine Beeinträchtigung seiner Interessen konkret drohe. Deshalb sei eine wahrheitsgemäße und umfassende Information des Mandanten durch den Rechtsanwalt sicherzustellen. Daneben könne ein eigenverantwortlicher Umgang des Rechtsanwalts mit einer solchen Situation erwartet werden. Das BVerfG betont hierbei die Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Auf seine Integrität, Professionalität und Zuverlässigkeit sei die Rechtspflege angewiesen, ohne dass es dazu der Einzelkontrolle oder der Mittel des Strafrechts bedürfe. Der Rechtsanwalt habe verantwortlich einzuschätzen, ob im konkreten Fall die Mandatsniederlegung geboten sei.
Dies gelte selbst für den Fall, dass der wechselnde Rechtsanwalt über geheimhaltungsbedürftige Informationen verfügt, der Mandant solche Kenntnisse im konkreten Fall jedoch für unschädlich hält und der wechselnde Rechtsanwalt in der aufnehmenden Kanzlei von jeder Rechtsbesorgung ferngehalten wird. Dieser Grundsatz erfordere eine dem Einzelfall gerecht werdende Einzelabwägung aller Belange unter besonderer Berücksichtigung der konkreten Mandanteninteressen. Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und geradliniger Rechtsbesorgung müsse lediglich die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden werden. Die Rechtspflege erfordere daher nur dann ein Eingreifen, wenn trotz des Einverständnisses der Mandanten hierfür sonstige Indizien sprechen, die dem Mandanten verborgen geblieben oder von ihm unzutreffend eingeschätzt worden seien.
§3 Abs. 2 BORA – so das BVerfG weiter – ließe jedoch eine Prüfung im Einzelfall nicht zu, ob Sicherungen zur Wahrung des Vertrauens in die Beachtung der Verschwiegenheitspflicht bestehen. Hierdurch werde die für die Anwaltschaft zunehmend wichtiger werdende Möglichkeit des Sozietätswechsels unverhältnismäßig stark eingeschränkt.
Aufgrund dessen hat das BVerfG festgestellt, dass diese Bestimmung mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig sei.
Mit der Entscheidung hat das BVerfG die Stellung des Rechtsanwalts in unserer Rechtsordnung weiter gestärkt. Rechtsanwälte haben zukünftig bei einem Sozietätswechsel in Absprache und mit Zustimmung Ihrer Mandanten zu entscheiden, ob Mandate fortgeführt werden können oder niedergelegt werden müssen.
Bis zur Regelung durch den Gesetzgeber oder die Satzungsversammlung der vom BVerfG geforderten Einzelfallprüfung auf Interessenkollisionsmandate bei einem Sozietätswechsel gilt: War der wechselnde Rechtsanwalt nicht selbst mit der Bearbeitung des Falles befasst und haben die Mandanten – umfassend und richtig informiert – gegen die Fortführung der Mandate keine Bedenken und sieht der Rechtsanwalt nach eingehender Prüfung ebenfalls keinen Fall der Interessenkollision, ist eine Mandatsniederlegung nach Sozietätswechsel nicht zwingend erforderlich. Allerdings ist sicherzustellen, dass der wechselnde Rechtsanwalt in der aufnehmenden Kanzlei keine rechtsberatende Tätigkeit in dieser Sache übernimmt.
Die spätere normative Regelung bleibt abzuwarten.