Heft 02/2015 Unternehmensjuristen und ihre Rente

Zur berufs- und sozialversicherungsrechtlichen Stellung der Syndikusanwälte 

von Prof. Dr. Reinhard Singer, Humboldt-Universität zu Berlin

Selten haben Urteile der höchsten Fachgerichtsbarkeit so viel Widerspruch provoziert wie die Urteile des 5. Senats des Bundessozialgerichts vom 3.4.2014[1]. Die Revisionsurteile in drei parallel gelagerten Verfahren kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Syndikusanwälte, die bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber angestellt sind, nicht mehr - wie dies bislang einer verbreiteten, aber zunehmend uneinheitlichen Praxis[2] entsprach - von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden können. Die Aufregung entzündet sich nicht nur an den ökonomischen Konsequenzen, die diese Entscheidungen nach sich ziehen, sondern berührt im Kern das Berufsbild des Rechtsanwalts. Wenn man freilich um der "Einheit der Anwaltschaft"[3] willen bereit ist, sich vom Leitbild der beruflichen Unabhängigkeit zu verabschieden, gerät das System der Regulierung, das der Bundesrechtsanwaltsordnung im Interesse der Mandanten und einer vertrauenswürdigen Rechtspflege zugrunde liegt, ins Wanken. Insofern ist sehr sorgfältig zu prüfen, an welchen Stellschrauben gedreht werden sollte, um den status quo wiederherzustellen und Syndikusanwälten den Zugang zu den beruflichen Versorgungswerken der Anwälte zu ermöglichen.

 

I. Vorbemerkung

1. Rechtliche und wirtschaftliche Folgen

Sollten die Urteile des BSG Bestand haben,[4] wird künftig die Mitgliedschaft der Syndikusanwälte in den anwaltlichen Versorgungswerken unattraktiv. Unternehmensjuristen müssten bei einem Verbleib in diesen Versorgungswerken nicht nur für diese Mitgliedsbeiträge entrichten, sondern auch für die gesetzliche Rentenversicherung. Die bisher mögliche Befreiung von der gesetzlichen Rente hatte den Zweck, solche Doppelzahlungen zu vermeiden. Damit entfiele eines der Hauptmotive der Unternehmensjuristen für die Zulassung zur Anwaltschaft.[5] Seitens der Anwaltschaft wird diese Entwicklung durchaus auch mit Sorge betrachtet, da die verbleibenden Anwälte nach dem Ausscheiden der Syndikusanwälte aus den Versorgungswerken auf lange Sicht mit höheren Beiträgen und einer geringeren Leistungsfähigkeit der Versorgungswerke rechnen müssen.[6]

Die Kasseler Richter erkennen zwar einen weitreichenden Vertrauensschutz für solche Syndikusanwälte an, die sich auf einen bestandskräftigen Befreiungsbescheid berufen können,[7] aber der Schutz ist unvollkommen, weil die Befreiung nach einem früheren Urteil des Senats aus dem Jahre 2012 nur für die konkrete Beschäftigung beim jeweiligen Arbeitgeber gilt, also insbesondere nicht bei einem Wechsel des Arbeitgebers oder der versicherungspflichtigen Tätigkeit.[8] Unsicher ist der Vertrauensschutz für solche Syndikusanwälte, die zwar Mitglied im Versorgungswerk sind, jedoch keinen Befreiungsbescheid erhalten haben. Sie können nur dann auf eine Befreiung vertrauen, wenn sie aufgrund einer unrichtigen Auskunft oder einer bestimmten Verwaltungspraxis des zuständigen Versicherungsträgers[9] irrtümlich davon ausgehen durften, dass die Stellung eines neuen Befreiungsantrags nach einem Arbeitgeber- oder Tätigkeitswechsel nicht erforderlich sei. In diesen Fällen ist der Versicherungsträger an die falsche Auskunft gebunden.[10]

Betroffen von den einschneidenden Veränderungen ihrer Alterssicherung sind nach einer empirischen Untersuchung von Hommerich aus dem Jahre 1998 etwa 6 %,[11] nach jüngeren Schätzungen in manchen Kammerbezirken bis zu 25 % der in Deutschland niedergelassenen Rechtsanwälte, insgesamt wohl etwa 30.000.[12] Berücksichtigt man den von Rechts wegen zu gewährenden Vertrauensschutz, dürfte die Zahl der akut Betroffenen deutlich geringer sein. Auf längere Sicht ist freilich damit zu rechnen, dass den Versorgungswerken wertvolle Beitragszahler verloren gehen. Außerdem ist unschwer zu prognostizieren, dass der Beruf des Unternehmensjuristen an Attraktivität einbüßen würde, wenn es bei der vom BSG festgestellten Rechtslage bleibt. In jenen Fällen, in denen Unternehmensjuristen keine bestandskräftigen Befreiungsbescheide erhalten haben und keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen können, drohen Unternehmen, die keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung abgeführt haben oder künftig nicht abführen, Nachzahlungen in der Größenordnung von über 50.000 Euro pro Jahr.[13]

2. Hauptzielscheibe der Kritik: das berufsrechtliche Vorverständnis des BSG

Aufgrund dieser einschneidenden Konsequenzen ist es verständlich, dass die Urteile des Bundessozialgerichts harsche Kritik hervorgerufen haben. Repräsentanten der Bundesrechtsanwaltskammer sorgen sich um die "Einheit der Anwaltschaft"[14] oder konstatieren eine "unzureichende dogmatische Stringenz"[15] der Urteilsgründe. Andere zweifeln an der Zukunftsfähigkeit des Konzepts "Syndikusanwalt",[16] befürchten ein "Berufsverbot"[17] oder gar den "Tod des Syndikusanwalts".[18]

Allerdings ist nicht zu übersehen, dass sich die Urteile des Bundessozialgerichts mit dem berufsrechtlichen Strang der Begründung ganz auf der Linie der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Anwaltssenats am Bundesgerichtshof bewegen. Dieser hat seit jeher den Syndikusanwälten in Bezug auf ihre Tätigkeit als Angestellte den Status als Rechtsanwälte abgesprochen.[19] Man sollte daher dem BSG auch nicht vorwerfen, es definiere über das Sozialrecht das anwaltliche Berufsrecht "neu".[20]

Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob das berufsrechtliche "Vorverständnis" des BSG für die Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI tatsächlich präjudiziell ist. Zwar darf eine Befreiung der Syndikusanwälte von der Rentenversicherungspflicht nur dann erfolgen, wenn diese "wegen" ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung Mitglied einer Versorgungseinrichtung und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Es muss jedoch irritieren, dass urplötzlich eine Gesetzesänderung, die fast 20 Jahre zurückliegt, zu einer völligen Abkehr von der bisherigen Befreiungspraxis führt. Es ist zwar in berufsrechtlicher Hinsicht richtig, dass die Zulassung zur Anwaltschaft den Syndikusanwälten nicht aufgrund ihrer abhängigen Beschäftigung erteilt wird,[21] sondern weil sie neben dieser Beschäftigung und unabhängig von dieser (mehr oder weniger) den Beruf des selbstständigen Rechtsanwalts ausüben. Doch es fragt sich, ob diese berufsrechtliche Wertung für die Frage der Befreiung für die Rentenversicherung von ausschlaggebender Bedeutung sein kann.[22]

Kritiker des BSG nehmen die Urteile zum Anlass, erneut die berufsrechtliche Disqualifikation des Syndikusanwalts zu bekämpfen, und verweisen mit Nachdruck darauf, dass der Syndikus auch in seiner abhängigen Stellung als Angestellter eines Unternehmens unter bestimmten weiteren Voraussetzungen anwaltlich tätig sei. Da diese Forderung unweigerlich am Leitbild der anwaltlichen Berufsausübung rüttelt und - wenn ihr nachgegeben wird - erdrutschartige Folgen für weitere Regeln des Berufsrechts zur Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit, insbesondere das umstrittene Verbot der reinen Kapitalbeteiligung Berufsfremder (sog. Fremdbesitzverbot),[23] nach sich ziehen dürfte, soll in diesem Beitrag zunächst mit der gebotenen Ausführlichkeit die Frage geklärt werden, ob der Syndikus in berufsrechtlicher Hinsicht bei seiner Tätigkeit als Unternehmensjurist als Rechtsanwalt qualifiziert werden kann oder nur - wie es die vom BGH vertretene sog. Doppelberufstheorie besagt - bei seiner selbstständigen Tätigkeit außerhalb des Unternehmens (unter II.). Anschließend ist zu untersuchen, ob die vom BSG vorgenommene Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI gesetzeskonform ist (unter III.), und welche Empfehlungen dem Gesetzgeber gegeben werden können, falls er sich zu einer Unterstützung der Syndikusanwälte entschließen sollte (unter IV.).

II. Die Doppelberufstheorie des BGH und ihre Relevanz für die sozialversicherungsrechtliche Stellung der Syndikusanwälte

1. Ursprung und Bedeutung der Doppelberufstheorie

Ihren Ursprung hat die Doppelberufstheorie - das darf man bei der aufgeregten Debatte nicht übersehen - in Diskussionen innerhalb der Anwaltschaft selbst, die in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg einsetzten und von der Befürchtung bestimmt waren, dass die Syndici in einer anwaltlichen Tätigkeit für ihren Dienstherrn in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis geraten könnten. Aus diesem Grunde und unter dem Eindruck "gewisser Missstände, die sich in der Praxis ergeben hatten", hat der Gesetzgeber im Jahre 1934 im damaligen § 31 Abs. 2 RAO die Prozessvertretung des Unternehmens durch Syndikusanwälte verboten.[24] Da es keine Anhaltspunkte für einen antisemitischen Hintergrund der Gesetzgebung gibt, sollte die nationalsozialistische "Abstammung" des Gesetzes nicht überbewertet werden. Dies gilt auch für die vielfach geäußerte Vermutung, dass die Vertretungsbeschränkung dem Interesse der selbstständigen Rechtsanwälte an Mandaten aus der Wirtschaft entgegenkam.[25] In der Präambel des Gesetzes ist zwar von einem "jedes Bedürfnis übersteigenden Zustrom zur Anwaltschaft" die Rede, so dass es möglicherweise nahe gelegen hat, der Anwaltschaft weitere Konkurrenz vom Leibe zu halten.[26] Selbst wenn diese Vermutung zuträfe, darf man aber auf der anderen Seite nicht die Augen davor verschließen, dass der Unternehmensjurist besonderen Gefährdungen ausgesetzt ist und es deshalb auch gute - objektive - Argumente für die gesetzlichen Restriktionen gab und nach wie vor gibt.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde in den Ländern der amerikanischen Zone (Bayern, Hessen, Baden-Württemberg) Syndici sogar vollständig von der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen. Bei der Verabschiedung der Bundesrechtsanwaltsordnung im Jahre 1959 folgte man dieser radikalen Lösung nicht, sondern akzeptierte, dass sich die Institution des Syndikusanwalts "im modernen Wirtschaftsleben herausgebildet und gefestigt hat".[27] Aber es sei notwendig, die beiden Aufgabenbereiche des Syndikusanwalts voneinander abzugrenzen. Die "Doppelstellung" des Syndikusanwalts[28] entsprach also den Vorstellungen des demokratischen Gesetzgebers: Anders als bei der Tätigkeit, die der Syndikus außerhalb seines Dienstverhältnisses ausübt, seien bei seiner Tätigkeit als Syndikus "die typischen Wesensmerkmale der freien Berufsausübung, die das Bild des Anwalts bestimmen, nicht gegeben".[29]

Damit war die Grundlage für die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretene "Doppelberufstheorie" gelegt. In dem ersten Urteil aus dem Jahre 1960 wurde folgerichtig die Tätigkeit des Syndikusanwalts, der auch über eine Zulassung als Rechtsanwalt verfügt, in zwei Arbeitsbereiche unterteilt: einen arbeitsvertraglich gebundenen und einen als freien Anwalt.[30] Ausschlaggebend für diese Unterscheidung ist die zentrale Bedeutung der Unabhängigkeit für das Leitbild des Anwaltsberufs. Würde man die Tätigkeit des Syndikus innerhalb des ständigen Beschäftigungsverhältnisses als anwaltliche begreifen, "wäre die Unabhängigkeit für den Rechtsanwaltsberuf nicht mehr wesentlich", konstatiert der Anwaltssenat in einem weiteren grundlegenden Urteil aus dem Jahre 1999.[31] Nachdem auch der vom DAV unterstützte, von der Bundesrechtsanwaltskammer bekämpfte Versuch, durch eine Textänderung des § 46 BRAO klarzustellen, dass Syndikusanwälte auch bei ihrer Tätigkeit für den Auftraggeber rechtsanwaltlich tätig würden, keinen Erfolg hatte,[32] schien der Kampf für die von vielen geforderte Gleichstellung der Syndikusanwälte verloren. Dies gilt erst recht, nachdem der Europäische Gerichtshof am 14.9.2010 in der Rechtssache Akzo Nobel[33] die interne Kommunikation zwischen einem Syndikusanwalt und der Unternehmensführung für nicht beschlagnahmefrei erklärt hat, weil das Anwaltsgeheimnis nur "unabhängige Anwälte" schütze.[34]

2. Wirklichkeitsfremdheit der Doppelberufstheorie?

Verstummt ist die Kritik freilich nie, weil das Leitbild der beruflichen Unabhängigkeit des Rechtsanwalts Kohärenzdefizite aufweist und die Vorstellung, dass die Syndikusanwälte in ihrem Zweitberuf einer selbstständigen anwaltlichen Tätigkeit nachgingen, als "wirklichkeitsfremd" angesehen wird.[35] "In der Regel" finde eine zweitberufliche Tätigkeit in der eigenen Kanzlei als niedergelassene Rechtsanwälte nicht statt. Und die von den Arbeitgebern der Unternehmensjuristen geforderte Freistellungserklärung, die gewährleisten soll, dass der Rechtsanwalt ein Mindestmaß an beruflicher Unabhängigkeit genieße, sei nicht ernst gemeint.[36] In der Tat dürften die meisten Syndikusanwälte ihre selbstständige Tätigkeit nicht in der eigenen Kanzlei ausüben. Die vor dem Bundessozialgericht verhandelten Fälle betreffen Anträge von Unternehmensjuristen, die entweder ihre Kanzlei in den Geschäftsräumen des Arbeitgebers ausübten[37] oder überhaupt keine Kanzlei unterhielten, sondern aufgrund ihrer "rechtsanwaltstypischen Tätigkeit" für das Unternehmen von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden wollten.[38] Der überwiegenden Mehrzahl der Unternehmensjuristen kommt es, wie die Erhebung der Soldanstiftung zeigt, vor allem auf den Zugang zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte an.[39] Die Durchschnittseinkünfte liegen unter 5.000 Euro, die durchschnittliche Arbeitszeit in der eigenen Kanzlei beträgt 5,4 Wochenstunden, und nur ein knappes Viertel der Unternehmensjuristen erzielt Gewinne von mehr als 5.000 Euro im Jahr.[40]

Vor diesem Hintergrund ist in der Tat zu bezweifeln, ob die Doppelberufstheorie der Realität gerecht wird, spielt doch die Tätigkeit als selbstständiger Rechtsanwalt keine oder allenfalls eine geringe Rolle. Dies spräche freilich allenfalls gegen die Zulassung als Rechtsanwalt,[41] brächte aber die Unternehmensjuristen ihrem Ziel, die juristische Tätigkeit für ihren Arbeitgeber als anwaltsspezifische anzuerkennen, keinen Schritt weiter. Dabei kommt es nun einmal auf darauf an, ob der Jurist eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, vereinbar ist (§§ 1 und 3, 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO). Im Übrigen dürfte es die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Kammern überfordern, wenn sie gezwungen würden, den Umfang der Tätigkeit als Rechtsanwalt zu kontrollieren. Zwar entsprechen "Feierabendanwälte" nicht dem Berufsbild des unabhängigen Rechtsanwalts,[42] aber einschreiten können die Kammern sinnvoller Weise nur dann, wenn sich aus den eingereichten Unterlagen ergibt, dass der Bewerber nicht die Möglichkeit hat, den Beruf in der geforderten Unabhängigkeit auszuüben. Daher verlangen die Kammern von denjenigen, die trotz einer hauptberuflichen Tätigkeit für einen nicht-anwaltlichen Arbeitgeber die Zulassung zur Anwaltschaft beantragen, die Vorlage einer Erklärung ihres Arbeitgebers, wonach dieser damit einverstanden sei, dass sein Mitarbeiter neben seiner Tätigkeit als Angestellter den Beruf des Rechtsanwalts ausübe und berechtigt sei, sich während der Dienststunden zur Wahrnehmung etwaiger gerichtlicher Termine und Besprechungen jederzeit von seinem Dienstplatz zu entfernen, ohne im Einzelfall eine Erlaubnis hierfür einholen zu müssen.[43] Es spricht einiges dafür, diese - häufig unrichtige - Erklärung für eine Mogelpackung zu halten.[44] Auch dürfte es streng genommen nicht toleriert werden, dass der betroffene Rechtsanwalt seine Kanzlei in den Räumen des nicht-anwaltlichen Arbeitgebers einrichtet und dadurch mit einer nicht sozietätsfähigen Person eine gem. § 59a Abs. 4 BRAO unzulässige Bürogemeinschaft eingeht.[45] Aber all dies spricht eben nur gegen die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und nicht für sie.

3. Anerkennung der Tätigkeit als "Rechtsanwalt" durch § 46 BRAO?

Ein mögliches Argument für die Qualifikation des Unternehmensjuristen als Rechtsanwalt könnte sich aus der Regelung des § 46 Abs. 1 BRAO ergeben. Die Vorschrift verbietet einem "Rechtsanwalt", für einen Auftraggeber, dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und -kraft zur Verfügung stellen muss, vor Gerichten oder Schiedsgerichten in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig zu werden, um einen Konflikt des weisungsgebundenen Syndikus mit den Anforderungen an eine unabhängige Berufsausübung zu vermeiden.[46] Daraus könnte man den Umkehrschluss ziehen, dass der Syndikus außerhalb der gerichtlichen Tätigkeit sehr wohl für das Unternehmen als "Rechtsanwalt" tätig werden könne, z.B. im Rahmen einer beratenden Tätigkeit. Da sich Syndici jedoch neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Angestellte des Unternehmens als selbstständige "Rechtsanwälte" niederlassen können, ist der Schluss keineswegs zwingend. Da die Vertretung des Arbeitgebers vor Gericht die Stellung als "Rechtsanwalt" erfordert, ist es nur konsequent, dass sich das Vertretungsverbot an den "Rechtsanwalt" wendet. Eine Aussage, dass der Syndikus stets den Status eines "Rechtsanwalts" genießen sollte, kann man dem Gesetz daher nicht entnehmen. Es widerspräche im Gegenteil den Vorstellungen des Gesetzgebers, der bei der Verabschiedung der BRAO ausdrücklich betont hatte, dass die gebundene Tätigkeit des Syndikus nicht als anwaltliche angesehen werden könne.[47]

4. Kohärenzdefizite

a) Das Leitbild der beruflichen Unabhängigkeit und seine Bedeutung für das Berufsrecht

Der Beruf des Rechtsanwalts unterscheidet sich von anderen rein gewerblichen Berufen durch seine rechtsstaatliche Funktion. Beratung und Vertretung durch kompetente Rechtsanwälte sind unerlässliche Voraussetzungen für die Behauptung und Durchsetzung des Rechts. Aus diesem Grunde gehört die berufliche Unabhängigkeit zu den prägenden Leitbildern des Anwaltsberufs[48]. So sehr dieses Leitbild das anwaltliche Berufsrecht prägt, so massiv sind andererseits die Zweifel an der Operationalität dieses Kriteriums.[49] Über "Allgemeinplätze voller Pathos" sei man bisher nicht hinausgekommen, klagt seit langem Michael Kleine-Cosack, und bekämpft vehement den "Unabhängigkeitsmythos".[50] Auch für Susanne Offermann-Burckart bleibt die Vorstellung, dass der Rechtsanwalt seinen Beruf im Zustande annähernder, geschweige denn vollkommener Unabhängigkeit ausübe, ein "Mysterium".[51] Die Skepsis gegenüber der Tragfähigkeit der Unabhängigkeit als Leitbild des Anwaltsberufs wurzelt in der evident richtigen Feststellung, dass der Rechtsanwalt naturgemäß vielfältigen Bindungen wirtschaftlicher, politischer, gesellschaftlicher und rechtlicher Art ausgesetzt sein kann, ohne dass diese Bindungen per se ein Hindernis für seine Berufsausübung bilden könnten.

Dennoch macht es Sinn zu differenzieren. Der Gesetzgeber kann und muss auf Situationen reagieren, in denen die Unabhängigkeit der Berufsausübung besonderen Gefährdungen ausgesetzt ist. Das gilt nicht nur für die Verhinderung staatlicher Einflussnahme, sondern auch für die Vermeidung privater Fremdbestimmung, auch wenn diese nicht vollkommen ausgeschaltet werden kann. Insofern erscheint es sinnvoll, der Berufsausübungsfreiheit vor allem dort Schranken zu setzen, wo einerseits in typisierbarer Form Interessenkonflikte und Gefährdungslagen identifiziert werden können, andererseits praktikable und nachprüfbare Vorkehrungen zum Schutze der Unabhängigkeit möglich sind.[52] Um solche typisierbaren Konstellationen mit erhöhtem Gefährdungspotential handelt es sich, wenn der Rechtsanwalt dem Einfluss berufsfremder Mitgesellschafter ausgesetzt oder durch Zweitberufe in Interessenkonflikte geraten kann. Es handelt sich um Situationen, in denen sich die Gefahr von Interessenkonflikten - wie das BVerfG in der Zweitberufsentscheidung formuliert hat - "deutlich abzeichnet" oder "von vorneherein absehbar ist".[53] In solchen Konstellationen erscheint es sachgerecht und verhältnismäßig, wenn der Gesetzgeber zum stärksten Eingriffsinstrument der Berufszulassungsschranke greift und z.B. Kapitalbeteiligungen durch Berufsfremde gem. §§ 59a, 59e BRAO, die Ausübung von konfliktträchtigen Zweitberufen (§§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO) sowie die interprofessionelle Zusammenarbeit und gemeinschaftliche Berufsausübung in Gesellschaften, die von Berufsfremden dominiert werden, beschränkt bzw. verbietet. Ein erhöhtes und zugleich typisierbares Gefährdungspotential besteht auch beim Vermögensverfall des Rechtsanwalts,[54] bei der Vereinbarung eines Erfolgshonorars[55] und bei der Beschäftigung von Unternehmensjuristen.[56]

b) Die Beschränkung der Berufszulassungsschranken auf typisierbare und effektiv beherrschbare Gefährdungen der anwaltlichen Unabhängigkeit

Die Bedrohung durch wirtschaftliche, politische und soziale Zwänge ist für Rechtsanwälte allgegenwärtig. Deshalb würde es keinen Sinn machen, die Zulassung zur Anwaltschaft davon abhängig zu machen, dass der Rechtsanwalt auch in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht unabhängig ist.[57] Gewiss ist die Sorge berechtigt, dass ein Teil der Rechtsanwaltschaft zur Existenzsicherung gezwungen ist, jedes Mandat anzunehmen und so in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zum Auftraggeber geraten kann. In diesen Fällen ist die Rechtspflege durchaus in Gefahr. Das wird in dem sorgfältig recherchierten, aber mangels empirischer Datenerhebung nur bedingt aussagekräftigen Buch des Journalisten Joachim Wagner über den Zustand der deutschen Anwaltschaft in Einzelfällen nachdrücklich belegt.[58] Begrenzen oder gar verhindern kann man solche Bedrohungen nur in begrenztem Umfang. Es wäre unverhältnismäßig und unpraktikabel, die Zulassung zur Anwaltschaft z.B. zu versagen oder zu widerrufen, sofern und solange der Rechtsanwalt nicht bestimmte Mindestumsätze vorweisen kann oder von einzelnen Großmandaten[59] abhängig ist. Das schließt nicht aus, dass einzelnen Gefahren durch intelligente und schonende Steuerungsinstrumente begegnet werden kann. Zum Beispiel könnte ein effektiver Schutz gegen Veruntreuung von Mandantengeldern darin bestehen, dass Anwälte für Fremdgelder Anderkonten einrichten und verwalten müssen.[60]

Sofern es an griffigen Instrumentarien fehlt, muss man sich darauf verlassen, dass der Anwalt seine Funktion als Organ der Rechtspflege Ernst nimmt, die gesetzlichen Bestimmungen einhält und einem etwaigen ungesetzlichen Ansinnen des Mandanten kraft seines Berufsethos widersteht. Rechtsanwälte stehen in einem Reputationswettbewerb, so dass für sie ein erhebliches Interesse daran besteht, ihre Mandanten fair und anständig zu behandeln. Von Vertretern einer ökonomischen Ethik[61] wird mit Recht darauf hingewiesen, dass individuelle Freiheit nie voraussetzungslos gewährt wird, sondern von anderen Akteuren (vom Staat oder von Dritten) gewährt wird. Wird von Freiheit unverantwortlicher Gebrauch gemacht, muss man damit rechnen, dass die Geschädigten reagieren und die Freiheit einschränken.[62] Auch Joachim Wagner muss einräumen, dass es keine Anzeichen dafür gibt, dass "eine Mehrheit der Advokaten Berufsrecht oder Berufsethik verletzt".[63]

So bleibt zwar der Einwand, dass ethisches Verhalten nicht vollkommen sichergestellt wird und auch nicht effektiv sichergestellt werden kann. Aber man würde das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn man deswegen auf Regelungen verzichten würde, welche die beschriebenen typisierbaren Gefährdungen der anwaltlichen Unabhängigkeit zu bekämpfen suchen. Bei der Festlegung, welche Gefahren typisierbar sind und effektiv bekämpft werden können, hat der Gesetzgeber eine gewisse Gestaltungsfreiheit. Von dieser Freiheit hat er bei den Regelungen zum Widerruf bei Vermögensverfall, bei den Regeln über die Fremdbesitzverbote, den Formen beruflicher und gesellschaftsrechtlicher Zusammenarbeit, den Nebentätigkeitsverboten und den Beschränkungen für Syndikusanwälte in nachvollziehbarer Weise Gebrauch gemacht.

Zwar provoziert er damit Kohärenzprobleme, aber diese sind nicht unlösbar. Kohärenz bedeutet Widerspruchsfreiheit, deckt sich also mit dem Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierungen sind daher erlaubt, wenn es dafür sachliche Gründe gibt. Diese werden von den Kritikern am Fremdbesitzverbot, den Beschränkungen der interprofessionellen Zusammenarbeit und den Beschränkungen für Syndikusanwälte beharrlich ignoriert. Um es noch einmal zu betonen: Die sachliche Differenzierung der unterschiedlichen Reaktion des Gesetzgebers auf das Phänomen "Abhängigkeit" und "Fremdbestimmung" besteht in der Beschränkung der Verbote auf solche Tatbestände, in denen ein besonderes, typisierbares Gefährdungspotential identifiziert werden kann und zugleich die praktische Möglichkeit besteht, durch Berufsausübungsschranken dieser Gefahr zu begegnen und damit insgesamt das Niveau der Gefährdung der Rechtspflege und der Mandanten in Grenzen zu halten. Wer vollkommene Unabhängigkeit verlangt, verlangt Unmögliches. Wer für den Abbau von Schranken eintritt, riskiert eine Vergrößerung der Missstände und gefährdet die Rechtspflege.

c) Differenzierung zwischen anwaltlichen und nicht-anwaltlichen Arbeitgebern

Ein besonders beliebtes Argument ist die Ungereimtheit, die in der Differenzierung zwischen anwaltlichen und nicht-anwaltlichen Arbeitgebern angestellter Juristen bestehen soll.[64] Natürlich sei auch der in einer Anwaltskanzlei angestellte Rechtsanwalt nicht unabhängig in der Bearbeitung seiner Mandate. Das mag durchaus zutreffen, ändert aber nichts daran, dass bei der Abhängigkeit zwischen anwaltlichen und nicht-anwaltlichen Arbeitgebern gewichtige Unterschiede bestehen. Zum einen wird zurecht darauf hingewiesen, dass der anwaltliche Arbeitgeber seinerseits an das Berufsrecht gebunden ist[65] und bei berufswidrigem Verhalten und entsprechenden Weisungen an den angestellten Rechtsanwalt berufsrechtliche Sanktionen befürchten muss, im schlimmsten Fall den Widerruf der Zulassung.

Noch viel wichtiger ist ein teleologischer Gesichtspunkt. Die Ausrichtung der berufsrechtlichen Schranken am Leitbild der beruflichen Unabhängigkeit hat den Zweck, die Belange der Rechtspflege und die Mandanten zu schützen. Es geht nicht um die persönliche Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, sondern um seine institutionelle Unabhängigkeit. Insoweit ist aber die Rechtspflege durch Rechtsanwälte, die bei anwaltlichen Arbeitgebern angestellt sind, keiner größeren Gefährdung ausgesetzt, als sie es wäre, wenn der anwaltliche Arbeitgeber selbst tätig wäre oder wenn der angestellte Rechtsanwalt das Mandat als selbstständiger Rechtsanwalt bearbeiten würde. Wenn der Gesetzgeber aber beim selbstständigen Rechtsanwalt davon ausgeht, dass dieser aufgrund seiner Unabhängigkeit die Belange der Rechtspflege gegenüber Mandanten und Dritten wahrt und verteidigt, besteht kein Grund zu der Annahme, dass bei der Beschäftigung von angestellten Rechtsanwälten diese Belange in geringerem Maße gewahrt und verteidigt würden. Insofern besteht kein Anlass, im Tätigwerden des angestellten Rechtsanwalts ein strukturell erhöhtes Risiko für die Gefährdung der Rechtspflege anzunehmen und über die bestehenden Berufspflichten hinaus zusätzliche Schranken für die Berufsausübung zu errichten. Die quantitative Vergrößerung der Risiken durch den Effekt der Arbeitsteilung kann angesichts des Umstandes, dass berufswidriges Verhalten - entgegen der Insinuation von Joachim Wagner[66] - ein singuläres Phänomen ist, vernachlässigt werden.

Beim nicht-anwaltlichen Arbeitgeber verhält es sich anders: Dieser nimmt gegenüber dem Syndikusanwalt sowohl die Rolle des Auftraggebers als auch die des Arbeitgebers ein. Konflikte zwischen den - rein ökonomischen - Interessen des Unternehmens und Belangen der Rechtspflege schlagen unmittelbar auf den Syndikusanwalt durch, weil dieser aufgrund seiner persönlichen Abhängigkeit - anders als der selbstständige Rechtsanwalt - nicht in der Lage ist, im Konfliktfall die Belange der Rechtspflege zu verteidigen. Es handelt sich um die gleiche Gefährdungslage, wie sie bei einer Kapitalbeteiligung durch berufsfremde Dritte besteht.

d) Unabhängigkeit des Unternehmensjuristen aufgrund normativer Bindungen (corporate governance, compliance)

Im Schrifttum wird ferner geltend gemacht, dass der angestellte Unternehmensjurist selbstverständlich auch unabhängig sei, jedenfalls fachlich. In den Anstellungsverträgen wird ihm in der Regel zugestanden, bei der Beurteilung juristischer Fragestellungen keinerlei Weisungen ausgesetzt zu sein.[67] Auf der anderen Seite sei der Syndikus aufgrund seiner Zulassung zur Anwaltschaft an das anwaltliche Berufsrecht gebunden und durchaus "Organ der Rechtspflege". Aufgrund seiner Bindung an nicht-ökonomische, normative Pflichten bestünde ein Rechtsrahmen, der den ökonomischen Interessen der Unternehmensleitung Schranken setze und dem Syndikus die Funktion als "rechtliches Gewissen" des Unternehmens zuweise. Dies gelte umso mehr, als sich das Berufsbild des Unternehmensjuristen gewandelt habe. Dieser habe - anders noch als vor 20 Jahren - die Funktion, im Interesse guter Unternehmensführung (good corporate governance) darauf zu achten, dass Gesetz und Recht durch die Unternehmensleitung und die Mitarbeiter eingehalten werden.[68] Dass dies nicht immer funktioniert und trotz der Haftungsrisiken für das Unternehmen und seine Organe nicht verhindert hat, dass die Öffentlichkeit mit immer wieder neuen Unternehmens- und Wirtschaftsskandalen konfrontiert wird, ist freilich eine Binsenweisheit. Empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit unternehmensinterner Compliance haben gerade nicht belegen können, dass die unternehmensinternen Kontrollmechanismen effektiv greifen, insbesondere wenn die betreffende Unternehmensleitung keine ethischen Standards vorlebt.[69]

Auch der Umstand, dass gesetzes- und berufsrechtswidrige Weisungen rechtlich nicht durchgesetzt werden könnten,[70] ist angesichts der sozialen Abhängigkeit des angestellten Unternehmensjuristen kein durchschlagender Einwand. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Akzo Nobel mit Recht nicht berücksichtigt, dass der in den Niederlanden als Rechtsanwalt zugelassene Syndikus-Anwalt nach niederländischem Recht ausdrücklich von den Weisungen seines Arbeitgebers freigestellt war.[71] In ihrem Schlussantrag hatte die Generalanwältin Juliane Kokott mit Recht darauf hingewiesen, dass es nicht gesichert sei, dass diese förmliche Gewährleistung in Wirklichkeit auch eingehalten werde.[72] Wie groß die Interessenkonflikte sein können, denen Syndikus-Anwälte ausgesetzt sein können, kann man z.B. in einem Urteil des BGH vom 25.2.1999 nachlesen. Dort hatte ein Syndikus aufgrund einer Weisung seines Arbeitgebers sich dazu bereit erklärt, gegenüber einem Vergabeausschuss den unzutreffenden Eindruck einer neutralen Stellungnahme zu erwecken, um für "sein" Unternehmen einen Auftrag in der Größenordnung von 30 Mio. DM zu erlangen.[73]

5. Vorkehrungen zum Schutze der Rechtspflege

Natürlich geht es nicht darum, dass man einen ganzen Berufsstand unter Generalverdacht stellt. Es ist aber sinnvoll, angesichts der besonderen Gefährdung, die bei einer potentiellen Einflussnahme durch berufsfremde Dritte droht, Vorkehrungen zum Schutze der Rechtspflege zu treffen. Auf dem gleichen Grundgedanken beruhen u.a. das Verbot des Fremdbesitzes und die Einschränkungen der beruflichen Zusammenarbeit sowie für zweitberufliche Tätigkeiten. Der Einwand, dass auch der selbstständige Anwalt "in heutiger Zeit in jeder Hinsicht vergleichbaren Gefährdungen gegenüber seinem Mandanten und der Rechtspflege" unterliege,[74] vernachlässigt, dass es sich bei der Berufsausübung durch Juristen, die den Weisungen Berufsfremder unterliegen, um ein strukturelles Phänomen handelt, dem ein erhöhtes und juristisch fassbares Gefährdungspotential immanent ist.[75]

Gewiss entspricht es dem berechtigten Interesse der Unternehmen, sich bei der Beratung in juristischen Angelegenheiten von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen, der die Verhältnisse des Unternehmens kennt.[76] Dieses Recht wird jedoch grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Problematisch ist nur der anwaltliche Status des Syndikus im Rahmen seiner Tätigkeit als Angestellter. Die damit begründeten Einschränkungen z.B. in Bezug auf die gerichtliche Vertretung des Arbeitgebers oder die Versagung des Geheimnisschutzes muss der Syndikus-Anwalt hinnehmen. Es gibt kein Recht, den Anwaltsberuf ohne Rücksicht auf mögliche Gefährdungen der Belange der Rechtspflege ausüben zu können. Das Interesse an einer effektiven Beratung durch unternehmensinterne Juristen verdient nur insoweit Anerkennung, als Gründe des Gemeinwohls nicht entgegenstehen.

6. Anwaltliche Privilegien ohne Bezug zur beruflichen Unabhängigkeit

Auf einem anderen Blatt steht, ob dem Syndikusanwalt solche Privilegien vorenthalten werden sollen, bei denen der Schutz der beruflichen Unabhängigkeit keine Rolle spielt. So bestehen z.B. keine Bedenken, Leistungen, die der Syndikus bei seiner Tätigkeit als Unternehmensjurist erbracht hat, bei der Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung in vollem Umfang zu berücksichtigen.[77] Entsprechendes sollte entgegen der restriktiven Rechtsprechung des BGH[78] auch für Leistungen gelten, die bei der Auswahl der Bewerber für das Amt des Anwaltsnotars zu berücksichtigen sind.[79] Auch bei der Frage, ob Syndikus-Anwälten das Recht zustehen sollte, sich von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien, sollte unter teleologischen Gesichtspunkten keine Rolle spielen, ob der Syndikusanwalt die erforderliche berufliche Unabhängigkeit besitzt. Insofern drängt es sich förmlich auf, zu prüfen, ob eine entsprechende (erweiternde) Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI möglich ist.

III. Zur Bedeutung der berufsrechtlichen Unabhängigkeit des Syndikusanwalts für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht

 

1. Notwendigkeit teleologischer Auslegung

§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ermöglicht seit der Reform im Jahre 1996 die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung für die Beschäftigung, "wegen dersie" aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und einer berufsständischen Kammer sind. Nach Auffassung des BSG erfolgt jedoch die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft weder im Blick auf eine bestimmte "Beschäftigung" noch auf einen bestimmten Kreis anwaltlicher Betätigungen, sondern "personenbezogen". Da somit streng genommen kein Rechtsanwalt die Befreiungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfülle, erfordere die Funktion der Vorschrift ein angepasstes Verständnis des Tatbestandselements "Beschäftigung". Dem Gesetzgeber sei es um die Vermeidung einer Doppelbelastung durch beide Sicherungssysteme gegangen; diese stimmten darin überein, dass sie - als minus gegenüber der "Beschäftigung" - beide an die Ausübung einer "Erwerbstätigkeit" anknüpfen. Da aber die Erwerbstätigkeit des Syndikusanwalts wegen dessen fehlender Unabhängigkeit dem "Berufsfeld" des Rechtsanwalts "von vornherein nicht zugeordnet werden" könne, erfülle dieser nicht die Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift.[80] Der Syndikusanwalt sei Rechtsanwalt, "nicht weil er Syndikus ist, sondern weil er sich aufgrund einer nur deshalb erteilten Zulassung unabhängig hiervon und daneben gesondert als Rechtsanwalt betätigt".[81]

Wer so formal argumentiert, muss sich die Frage gefallen lassen, ob dem Sinn und Zweck des Gesetzes ausreichend Rechnung getragen wird. Eine rein grammatische Auslegung verbietet sich strenggenommen schon deswegen, weil der Bezugspunkt der "Beschäftigung" von vorneherein nicht dazu geeignet ist, die Kammerzugehörigkeit eines Rechtsanwalts zu begründen. Ob die Interpretation des BSG, wonach es stattdessen auf die "Erwerbstätigkeit" ankomme, dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht, ist zweifelhaft. Wenn die Zulassung zur Anwaltschaft nicht auf der "Beschäftigung" beruht und man sich vom Wortlaut des Gesetzes lösen muss, erscheint es überzeugender, danach zu fragen, ob die versicherungspflichtige Tätigkeit "materiell-rechtlich" eine anwaltliche ist - so wie dies im Ausgangspunkt der jahrelangen Befreiungspraxis anhand des "Vier Kriterien Katalogs" entsprochen hat. Da überdies die Feststellung des BSG, dass der Syndikusanwalt wegen seiner "Erwerbstätigkeit" für das Unternehmen nicht zur Anwaltschaft zugelassen werden könnte, in erster Linie mit seinem "Status" als "Angestellter" begründet wird, also gerade nicht mit dessen Tätigkeit, erweist sich die sozialversicherungsrechtliche Auslegung als dogmatisch inkonsistent.[82] Ist somit bereits zweifelhaft, ob auf die versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit abgestellt werden kann, so ist vollends zweifelhaft, wieso der berufsrechtliche Status des Syndikusanwalts für die Frage der Befreiung von der Versicherungspflicht den Ausschlag geben sollte, ist doch der Mangel der beruflichen Unabhängigkeit unter versorgungsrechtlichen Gesichtspunkten völlig irrelevant. Insofern drängt es sich geradezu auf, die von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI geforderte Kammerzugehörigkeit des Mitglieds nicht davon abhängig zu machen, ob sie aufgrund der "Beschäftigung" erfolgt, sondern als ein Minus gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes ausreichen zu lassen, dass der betreffende Bewerber als Rechtsanwalt Mitglied der einschlägigen Berufskammer ist und im Rahmen seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung wie ein Rechtsanwalt tätig ist.

2. Versagung der Zulassung wegen fehlender Unabhängigkeit

Gegen das Abstellen auf die "Erwerbstätigkeit" des Syndikus wird eingewendet, dass die Zulassung zur Anwaltschaft keine "Beschäftigung" oder "Erwerbstätigkeit" voraussetze, sondern lediglich einen Antrag auf Zulassung (§ 6 Abs. 1 BRAO), die Befähigung des Antragstellers zum Richteramt oder ein Äquivalent i.S.d. § 4 BRAO sowie eine im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, in der er Mitglied ist, eingerichtete und unterhaltene Kanzlei (§ 27 BRAO).[83] Dem lässt sich zwar entgegenhalten, dass § 7 Nr. 8 BRAO die Zulassung auch davon abhängig macht, ob der Bewerber eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege vereinbar ist und schon in den Gesetzesmaterialien deutlich gemacht wurde, dass ein Syndikus im Rahmen seiner abhängigen Tätigkeit dieses Voraussetzungen nicht erfüllt.[84] Aber dieser Einwand bezieht sich eben nur auf die berufsrechtliche Stellung des Syndikus, die für die Berufsausübung von grundlegender Bedeutung ist, nicht aber für die sozialversicherungsrechtliche Fragestellung.

3. Wille des Gesetzgebers zum Fortbestand der früheren Befreiungspraxis?

Gegen eine Abkehr von der jahrelangen Befreiungspraxis der Deutschen Rentenversicherung spricht ferner, dass der Wille des Gesetzgebers, diese anlässlich der Reform des SGB VI im Jahre 1996 zu ändern, nicht mit der erforderlichen Klarheit zum Ausdruck gekommen ist. Zu Recht wird im Schrifttum darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber mit Blick auf die damals zunehmende Ausweitung berufsständischer Versorgungswerke darum gegangen sei, "vor allem dem drohenden Erosionsprozess in der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten Einhalt gebieten".[85] In der amtlichen Begründung wird in der Tat auf die "jüngste Erstreckung der berufsständischen Versorgung auf neue Berufsgruppen (Wirtschaftsprüfer, Bauingenieure)" verwiesen und insbesondere betont, dass mit der vorgesehenen Beschränkung des Befreiungsrechts "im Ergebnis die seit langem akzeptierte Abgrenzung zwischen berufsständischer Versorgung und gesetzlicher Rentenversicherung in ihrer bisherigen Ausprägung gefestigt" werde.[86] Wegen der großen Bedeutung, die eine Veränderung der Rechtslage nicht nur für Syndikusanwälte, sondern auch für die Versorgungswerke hat, hätte es nahegelegen, diesen Willen deutlicher zum Ausdruck zu bringen, wenn man von der bisherigen Befreiungspraxis für diese Berufsgruppe wirklich abrücken wollte.

4. Verfassungskonforme Auslegung mit Blick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung

Gegen eine solche Abkehr von der bisherigen Befreiungspraxis sprechen schließlich verfassungsrechtliche Bedenken.[87] Für viele Angehörige der Freien Berufe besteht nämlich trotz der Verschärfung der gesetzlichen Voraussetzungen weiterhin die Möglichkeit der Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht. Insofern kommt es auf der Grundlage der BSG-Urteile zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung, die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI hätte behoben werden können und müssen. An der doppelten Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung und den Versorgungswerken hat sich nämlich für die vergleichbaren Freien Berufe der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Architekten nichts geändert. Im Schrifttum wird mit Recht davon ausgegangen, dass diese Berufsträger jedenfalls bei einer berufsspezifischen Tätigkeit auch in Angestelltenverhältnissen als Ärzte, Zahnärzte usw. tätig seien und "wegen dieser Tätigkeit" sowohl der berufsständischen Kammer als auch dem jeweiligen Versorgungswerk angehörten.[88] Für diese Berufsgruppen spielt in den einschlägigen Berufsrechten die berufliche Unabhängigkeit keine vergleichbare Rolle, so dass es keinem Zweifel unterliegt, dass sie in ihrer Eigenschaft als Ärzte, Zahnärzte usw. Kammermitglieder sein können. Nur bei Syndikus-Steuerberatern treten die gleichen Probleme auf wie bei Syndikus-Anwälten.[89] Eine unterschiedliche Behandlung der vergleichbaren Berufsgruppen wäre jedoch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht nicht gerechtfertigt, da die berufliche Unabhängigkeit insoweit ohne jede Bedeutung ist und keine Interessenkonflikte zu besorgen sind. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ist daher darauf abzustellen, ob die "Beschäftigung" des Syndikus, wäre er berufsrechtlich unabhängig, bei "materieller" Betrachtung als anwaltliche anzusehen ist. Das entspräche der früheren Befreiungspraxis der Gesetzlichen Rentenversicherung anhand des "Vier-Kriterien-Katalogs", wobei freilich die teilweise überzogenen Anforderungen an den anwaltlichen Charakter der Tätigkeit - insbesondere das Kriterium der Streitentscheidung - keine Gefolgschaft verdienen.

IV. Gesetzesinitiative zur Verbesserung der Rechtsstellung der Syndikusanwälte

Falls man sich wegen des Wortlauts des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht zu einer verfassungskonformen Auslegung entschließen kann, müsste jedenfalls der Gesetzgeber die verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung der verschiedenen Berufsgruppen korrigieren. Es gibt Anzeichen, dass die Regierungskoalition die Initiative ergreifen und noch vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die anhängige Beschwerde gegen das Urteil des BSG einen Gesetzentwurf ins Parlament einbringen wird. Die gebotene Befreiung der Syndikusanwälte von der gesetzlichen Rentenversicherung sollte dann allerdings nicht - wie dies dem Berufsrechtsausschuss des DAV[90] und zahlreichen Autoren[91] vorschwebt - durch eine Änderung der BRAO herbeigeführt werden, sondern durch eine Änderung des SGB VI.

Aus Sicht des Berufsrechts gibt es keine Bedenken, Syndikusanwälten die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung zu ermöglichen, obwohl diese in ihrer Eigenschaft als Unternehmensjuristen nicht als Rechtsanwälte zugelassen werden. Mit dieser Akzentsetzung ist den Bedenken des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, dass das anwaltliche Berufsrecht nicht "über das Sozialrecht" definiert werden dürfe,[92] zuzustimmen. Für die Zugehörigkeit zum berufsständischen Versorgungswerk sollte es - wie eben dargelegt - nicht darauf ankommen, ob die Tätigkeit der Syndikusanwälte dem Leitbild der Unabhängigkeit entspricht, sondern darauf, ob es sich nach der Art der Tätigkeit "materiell" um eine anwaltliche handelt. Insofern sollten sich Syndikusanwälte - wie dies früher der Praxis entsprach - als selbstständige Rechtsanwälte niederlassen und die Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer beantragen können. Das Recht würde sich auf diesem Wege wieder der Rechtswirklichkeit anpassen. Um die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung zu erreichen, sollte es genügen, dass diese sich als Rechtsanwälte niederlassen und in ihrer Tätigkeit für das Unternehmen "wie Rechtsanwälte oder Steuerberater" tätig sind. Eine solche Regelung für Syndikus-Anwälte und Syndikus-Steuerberater könnte in § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI als Nr. 1a eingefügt werden und wie folgt lauten:

"Angestellte, die in einem ständigen Dienstverhältnis wie ein Rechtsanwalt oder Steuerberater tätig sind, aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind und die Voraussetzungen von lit. a)-c) gemäß Nr. 1 erfüllen".

Hingegen ist vor dem verbreiteten Vorschlag zu warnen, § 46 BRAO neu zu fassen und die Tätigkeit des Syndikusanwalts - abgesehen von der Vertretungsbefugnis vor Gericht - in vollem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit gleich zu stellen.[93] Abgesehen davon, dass die Tätigkeit des Syndikusanwalts so viele Besonderheiten aufweist, dass viele Bestimmungen des anwaltlichen Berufsrechts nicht passen - angefangen von den Regeln über die berufliche Zusammenarbeit, Werbeverboten, die Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung, das Verbot des Erfolgshonorars bis hin zum Schutz des Berufsgeheimnisses - und deshalb im Schrifttum zurecht vor einer allzu schematischen Gleichstellung des Syndikus mit dem Rechtsanwalt gewarnt wurde,[94] bestehen vor allem deshalb Bedenken, weil mit der Preisgabe des Unabhängigkeitsdogmas für Syndikusanwälte das Leitbild des Anwaltsberufs endgültig zur Disposition stünde. Es gäbe dann insbesondere keinen Grund mehr, am Fremdbesitzverbot festzuhalten, weil dessen einzige Rechtfertigung im Schutz der beruflichen Unabhängigkeit besteht. Entsprechendes würde für das Verbot des Erfolgshonorars, die Tätigkeitsverbote bei Nebentätigkeiten und die Beschränkungen der beruflichen Zusammenarbeit und der gesellschaftlichen Zusammenschlüsse gelten.

Wie sehr diese Themen auf das Engste miteinander verwoben sind, zeigt der Hinweis von Kilian, dass das Sozialrecht die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht verhindern könne, wenn Unternehmen ihre Rechtsangelegenheiten von einer ausgegründeten und in ihrem Besitz befindlichen Rechtsanwalts-GmbH von dort angestellten Rechtsanwälten besorgen ließen.[95] Noch scheitern solche Konstruktionen am bestehenden Fremdbesitzverbot der BRAO. Das Beispiel demonstriert jedoch eindringlich, wie wichtig es ist, die berufliche Unabhängigkeit des Rechtsanwalts zu sichern. Es fällt schwer, darauf zu vertrauen, dass das Bestehen von Berufspflichten und vertraglich zugesicherte Weisungsfreiheit ausreichen sollen, um die Rechtspflege effektiv zu schützen.

Die verbreitete Befreiungspraxis, anhand eines Vier-Kriterien-Katalogs zu prüfen, ob die versicherungspflichtige Tätigkeit als anwaltliche einzustufen war, war im Ansatz sachgerecht, führte jedoch zu überzogenen Anforderungen an das Tätigkeitsprofil des Syndikus. In Zukunft sollte sich die Prüfung darauf beschränken, ob der angestellte Jurist wie ein Anwalt beruflich tätig ist. Eine solche Prüfung ist bereits auf der Grundlage einer teleologischen und verfassungskonformen Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI möglich und geboten, indem (sozialversicherungsrechtlich) auf die berufliche Unabhängigkeit des Berufsträgers verzichtet wird. Um Rechtssicherheit herzustellen, wäre eine entsprechende ausdrückliche Regelung durch den Gesetzgeber wünschenswert, aus verfassungsrechtlicher Sicht sogar geboten. Es kommt daher nicht darauf an, ob dem Gesetzgeber am Schicksal der Syndikusanwälte mehr gelegen ist als am Beitragsaufkommen der gesetzlichen Rentenversicherung.[96]

V. Zusammenfassung

1. Das Bundessozialgericht hat in seinen Urteilen vom 3.4.2014 zwar die berufsrechtliche Stellung des Syndikus zutreffend nachgezeichnet, aber zu Unrecht für die sozialversicherungsrechtliche Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung am Erfordernis der beruflichen Unabhängigkeit festgehalten.

2. In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht ist die berufliche Unabhängigkeit des Syndikus ohne sachliche Bedeutung, da in diesem Kontext mögliche Interessenkonflikte keine Rolle spielen und angestellte Unternehmensjuristen (sozialversicherungsrechtlich) nicht schlechter gestellt werden dürfen als vergleichbare freie Berufe (Ärzte, Architekten).

3. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist in teleologischer und verfassungskonformer Auslegung so auszulegen, dass als Minus gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes genügt, dass der betreffende Bewerber als Rechtsanwalt Mitglied der einschlägigen Berufskammer ist und im Rahmen seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung wie ein Rechtsanwalt tätig ist.

4. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass auch Syndikusanwälten der Zugang zu den Versorgungswerken offen steht, wenn sie sich als Rechtsanwälte niederlassen und im Rahmen ihrer abhängigen Beschäftigung "materiell" wie Rechtsanwälte tätig sind.

5. Dagegen sollte die vielfach geforderte berufliche Qualifikation der Angestelltentätigkeit der Syndikusanwälte als anwaltliche in § 46 BRAO nicht vorgenommen werden, da sonst eine Erosion des Leitbilds der beruflichen Unabhängigkeit droht.

6. In berufsrechtlicher Hinsicht ist am Erfordernis der beruflichen Unabhängigkeit des Rechtsanwalts festzuhalten, um strukturellen Gefährdungen durch berufsfremde Einflüsse, wie sie insbesondere Unternehmensjuristen drohen oder bei der Beteiligung von Fremdkapital an Rechtsanwaltsgesellschaften zu besorgen sind, wirksam zu b


* Erstveröffentlichung in den BRAK-Mitteilungen 6/2014, 282 ff.

** Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Anwaltsrecht, Familienrecht und Rechtssoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin und geschäftsführender Direktor des Instituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin.

[1] Urt. v. 3.4.2014, B 5 RE 3, 9 und 13/14 R, NJW 2014, 2743; WM 2014, 1883; juris.- Ablehnend Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891; Prütting, AnwBl. 2014, 788 ff.; Filges, BRAK-Mitt. 2014, 225; Krenzler, BRAK-Mitt. 2014, 128; Heise, AnwBl. 2014, 936.

[2] Eingehend dokumentiert von Becker, ZfA 2014, 87 (92 ff.).

[3] Filges, BRAK-Mitt. 2014, 225; Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778.

[4] Gegen eines der Urteile hat der betroffene Jurist Verfassungsbeschwerde erhoben, vgl. Legal Tribune Online, 24.9.2014, http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/syndikus-anwaelte-versicherungspflicht-bsg-verfassungsbeschwerde/ (zuletzt abgerufen am 17.11.2014).

[5] So die Ergebnisse der jüngsten Studie des Soldan-Instituts, Kilian, Die junge Anwaltschaft: Ausbildung, Berufseinstieg, Berufskarrieren 2014; ders., AnwBl. 2014, 468 (471).

[6] Henssler, BB 20/2014, Erste Seite; Kilian, AnwBl. 2014, 468 (470 f.).

[7] BSG (Fn. 1), NJW 2014, 2743 (2752), Rdnr. 58; eingehend dazu Becker, ZfA 2014, 87 ff. (zusammenfassend 128 f.); Leßmann/Herrmann, DB 2014, 2227 ff.; Rolfs/Marcelli, NZA 2014, 574 (578 ff.).

[8] BSG, NJW 2013, 1624; 2013, 1628 und 2013, 1901; dazu Prossliner NZA 2013, 1384; Rolfs/Marcelli, NZA 2014. 574 (575).

[9] Zur entsprechenden Verwaltungspraxis der DRV Leßmann/Herrmann, DB 2014, 2227 (2230); Becker.

[10] Becker, ZfA 2014, 87 (116 f., 125 f.).

[11] Prütting/Hommerich, Das Berufsbild des Syndikusanwalts 1998; Kurzfassung AnwBl. 11/1997, Beilage; Benckendorff, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, § 14, Rdnr. 32.

[12] Laut Prütting, AnwBl. 2014, 788 (798); vgl. auch Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778; Strohm/Lorenz, Legal Tribune online 10.12.2013; Huff, legal tribune online v. 22.7.2010 und v. 8.10.2014.

[13] Leßmann/Herrmann, DB 2013, 114 (115).

[14] Vgl. die Nachweise oben Fn. 3.

[15] Krenzler, BRAK-Mitt. 2014, 128 (131).

[16] Kilian, AnwBl. 2014, 468.

[17] Prütting, AnwBl. 2014, 788.

[18] Heinicke, AnwBl. 2014, 638.

[19] BGHZ 33, 266 (268); 141, 69 (75 f.); vgl. auch zur Unvereinbarkeit mit Zweitberufen BGH, NJW-RR 1999, 570; NJW 2003, 1527; 2010, 1381 (1382); zustimmend Henssler, in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, Rdnr. 8 und 16.

[20] Vgl. die Kritik von Filges, BRAK-Mitt. 2014, 225; vgl. dazu aber unten im Text unter IV. bei und mit Fn. 92.

[21] Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 13.

[22] Zweifelnd Prütting, AnwBl. 2014, 788 (789); Schafhausen, AnwBl. 2014, 829.

[23] Dazu eingehend Singer, AnwBl. 2010, 79 ff.; Kilian, AnwBl. 2014, 111 ff.

[24] Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes v. 13.12.1934 zur Änderung der RAO v. 1.7.1878 (RGBl. I, S.1258); zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 2 sowie die Begründung des Regierungsentwurfs zum Inkrafttreten der BRAO, BT-Drucks. 3/120, S. 76 f.

[25] Pfeiffer, FS Oppenhoff 1985, 254 (250 f.); Skouris, BB 1975, 1230 (1231); Benckendorff (Fn. 11), § 14, Rdnr. 31.

[26] Vgl. Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 2.

[27] BT-Drucks. 3/120, S. 77.

[28] So ausdrücklich die Begründung des Regierungsentwurfs a.a.O. (Fn. 27).

[29] A.a.O. (Fn. 27).

[30] BGHZ 33, 276 (279); 141, 69 (71).

[31] BGHZ 141, 69 (76).

[32] Vgl. die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses zu § 46 BRAO, BT-Drucks. 12/7656, S. 49.

[33] Urt. v. 14.9.2010 - C-550/07 P, Akzo Nobel, NJW 2010, 3557.

[34] Zustimmend Singer, DStR 2010, 2270; kritisch dagegen Hamacher, AnwBl. 2011, 42; früher schon Seitz, EuZW 2010, 524; Prütting, AnwBl. 2009, 402 f.

[35] Kleine-Cosack, BB 2005, 2309 (2311); ders., AnwBl. 2014, 891 (894).

[36] Kleine-Cosack, a.a.O.

[37] BSG B 5 RE 13/14 R, NJW 2014, 2743 (2744), Rdnr. 5.

[38] BSG B 5 RE 9/14 R, Rdnr. 3; B 5 RE 3/14 R, Rdnr. 4 ("als Rechtsanwalt tätig"). - Zu den verschiedenen Typen der Unternehmensjuristen vgl. Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 12.

[39] Vgl. die Nachweise oben Fn. 5.

[40] Kilian, AnwBl. 2014, 468 (472 f.).

[41] Zutreffend Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 13; BSG, NJW 2014, 2743 (2748), Rdnr. 39.

[42] BGHZ 33, 266 (268); BVerfGE 87, 287 (323). - Dagegen ließ der BFH in einem Urt. v. 9.8.2011 - entgegen der Behauptung von Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891 (896) - ausdrücklich offen, ob der Doppelberufstheorie auch bei Syndikus-Steuerberatern zu folgen ist, vgl. NJW 2012, 479 m. krit. Anm. Posegga; Hund, DStR 2011, 2267; Singer, Beihefter zu DStR 8/2014, 33 ff.; Mann, Beihefter DStR 8/2014, 21 (26 f.).

[43] Vgl. die von der RAK Düsseldorf als Muster empfohlene Freistellungserklärung www.rechtsanwaltskammer-duesseldorf.de/assets/Uploads/Zulassungswesen/Synikusanwlte/Merkblatt-Ausuebung-einer-sonstigen-Taetigkeit.pdf sowie die Empfehlung des DAV www.rechthaber.com/wp-content/uploads/2010/05/merkblatt_syndikusanwälte.pdf.

[44] Kleine-Cosack, AnwBl. 2011, 778 (779); ders., AnwBl. 2014, 891 (894).

[45] Mit Recht kritisch Offermann-Burkhart, AnwBl. 2012, 779 (780).

[46] BGH, NJW 1961, 219; Bissel, Die Rechtsstellung des Syndikusanwalts und die anwaltliche Unabhängigkeit 1996, 45.

[47] BT-Drucks. 3/120, S. 77.

[48] Hellwig, AnwBl. 2008, 644 (647); Singer, BRAK-Mitt. 2012, 145 (149).

[49] Hamacher, AnwBl. 2011, 42 (45).

[50] Kleine-Cosack, BRAO, 5. Aufl. 2008, § 1, Rdnr. 15; ders., AnwBl. 2014, 891.

[51] Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (780).

[52] Vgl. dazu bereits ausführlich Singer, FS Harald Herrmann 2011, 238 ff.; ders., FS Czybulka 2012, 327 ff.; ders., BRAK-Mitt. 2012, 145 ff.

[53] BVerfGE 87, 287 (319 und 330).

[54] Ch. Wolf, in: Gaier/Wolf/Göcken, Bundesrechtsanwaltsordnung, 2010, § 1, Rdnr. 61.

[55] BVerfG, NJW 2007, 979 (980), Rdnr. 63 f.

[56] BGHZ 33, 266 (268 f.); 141, 69 (75 ff.); BT-Drucks. 3/120, S. 77.

[57] Zutreffend Hartung, in: Hartung/Römermann, BerufsO, 4. Aufl. 2008, § 43a BRAO, Rdnr. 6 und 8.

[58] Joachim Wagner, Vorsicht Rechtsanwalt. Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral 2014; vgl. auch Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (780); Prütting, AnwBl. 2013, 78 (83).

[59] Für kritisch hält Heussen bereits Abhängigkeiten von einzelnen Mandanten, die mehr als 5 % der Gesamteinnahmen ausmachen (vgl. Anwalt und Mandant 1999, 100; zustimmend Streck, Beruf: Anwalt Anwältin 2001, 26); mit Recht a.A. Grunewald AnwBl. 2004, 463 (464), die auch eine analoge Anwendung der 25 %-Grenze des § 319 Abs. 2 Nr. 8 HGB ablehnt.

[60] So der im Rahmen der Diskussion gegebene Hinweis von Wieland Horn auf der 10. Jahrestagung des Anwaltsinstituts der Humboldt-Universität am 14.11.2014.

[61] Vgl. Hirschmann, in: ders., Entwicklung, Markt und Moral 1989, 192 (196 ff.); Suchanek, in: Pies/Leschke, Milton Friedmans ökonomischer Liberalismus 2004, 105 (113 ff.); ders., in: Berufsethik der Steuerberater 2007, 10 ff. (mit Bezug auf die ökonomische Ethik der freien Berufe).

[62] Suchanek, 2007 (Fn. 61), 16; vgl. dazu auch Singer, AnwBl. 2009, 393 (399).

[63] A.a.O. (Fn. 58), S. 284. Um die "Schwarze Schafe Theorie" zu widerlegen, genügt die von Wagner ausgebreitete Sammlung von Einzelfällen freilich nicht.

[64] Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (781); Kleine-Cosack, AnwBl. 2012, 947 (948); Kilian, AnwBl. 2014, 468 (470).

[65] Ewer, AnwBl. 2009, 657 (659).

[66] Vgl. die Nachweise oben Fn. 58 und 63.

[67] Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (781); Prütting, AnwBl. 2013, 78 (83).

[68] Eingehend Merkt, NJW 2014, 2311 (2313 ff.).

[69] Pape, Corporate Compliance - Rechtspflichten zur Verhaltenssteuerung von Unternehmensangehörigen in Deutschland und den USA 2011, S. 192 ff.

[70] Prütting, AnwBl. 2009, 402 (403).

[71] EuGH, Urt. v. 14.9.2010 - C-550/07 P, Akzo Nobel, NJW 2010, 2357 m. Anm. Singer, DStR 2010, 2270.

[72] Vgl. den Schlussantrag v. 24.4.2010, BeckRS 2010, 90528, Rdnr. 64 f.

[73] BGHZ 141, 69 (70).

[74] Prütting, AnwBl. 2009, 402 (403); ders., AnwBl. 2013, 78 (82).

[75] Zutreffend Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 8.

[76] Zu diesem Aspekt Roxin, NJW 1992, 1129 (1130).

[77] Zutreffend BGH, NJW 2003, 883 (884); vgl. auch BGHZ 166, 299 (304).

[78] BGH, NJW 2003, 2750.

[79] Vgl. Singer, Beihefter DStR 2014, 33 (34).

[80] BSG, NJW 2014, 2743 (2746), Rdnr. 31.

[81] BSG, NJW 2014, 2743 (2748), Rdnr. 39.

[82] Zutreffend Krenzler, BRAK-Mitt. 2014, 130 (131).

[83] Jan Horn, NZS 2014, 245 (246); ders., AnwBl. 2014, 147.

[84] BT-Drucks. 3/120, S. 58.

[85] Rolfs/Marcelli, NZA 2014, 574 (576).

[86] BT-Drucks. 13/2590, S. 18.

[87] Verfassungsrechtliche Bedenken äußert insoweit auch Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891 (897).

[88] Bezani/Klinkhammer, ArbRAktuell 2014, 275 (277); Rolfs/Marcelli, NZA 2014, 574 (579); anders aber Legerlotz/Schmidt, ArbRB 2014, 209 (212).

[89] ) Vgl. dazu Singer, Beihefter zu DStR 8/2014, 33 ff.; Mann, Beihefter DStR 8/2014, 21 (26 f.); teilweise abweichend BFH, NJW 2012, 479; a.A. Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891 (896 f.).

[90] Abrufbar unter www.anwaltverein.de.

[91] Vgl. Huff, Legal Tribune v. 8.10.2014 unter Bezugnahme auf mündliche Äußerungen des Vorsitzenden Richters im 5. Senat des BSG, Berchtold, auf dem Berufsrechtssummit des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen; früher schon Rethorn, AnwBl. 2012, 426; Kilger, AnwBl. 2012, 818; Prütting, AnwBl. 2013, 78 (84); ders., AnwBl. 2014, 788 (790); Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (786 f.

Unternehmensjuristen und ihre Rente

Zur berufs- und sozialversicherungsrechtlichen Stellung der Syndikusanwälte*

Prof. Dr. Reinhard Singer

 

Prof. Dr. Reinhard Singer, Humboldt-Universität zu Berlin**

Selten haben Urteile der höchsten Fachgerichtsbarkeit so viel Widerspruch provoziert wie die Urteile des 5. Senats des Bundessozialgerichts vom 3.4.2014[1]. Die Revisionsurteile in drei parallel gelagerten Verfahren kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Syndikusanwälte, die bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber angestellt sind, nicht mehr - wie dies bislang einer verbreiteten, aber zunehmend uneinheitlichen Praxis[2] entsprach - von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden können. Die Aufregung entzündet sich nicht nur an den ökonomischen Konsequenzen, die diese Entscheidungen nach sich ziehen, sondern berührt im Kern das Berufsbild des Rechtsanwalts. Wenn man freilich um der "Einheit der Anwaltschaft"[3] willen bereit ist, sich vom Leitbild der beruflichen Unabhängigkeit zu verabschieden, gerät das System der Regulierung, das der Bundesrechtsanwaltsordnung im Interesse der Mandanten und einer vertrauenswürdigen Rechtspflege zugrunde liegt, ins Wanken. Insofern ist sehr sorgfältig zu prüfen, an welchen Stellschrauben gedreht werden sollte, um den status quo wiederherzustellen und Syndikusanwälten den Zugang zu den beruflichen Versorgungswerken der Anwälte zu ermöglichen.

I. Vorbemerkung

1. Rechtliche und wirtschaftliche Folgen

Sollten die Urteile des BSG Bestand haben,[4] wird künftig die Mitgliedschaft der Syndikusanwälte in den anwaltlichen Versorgungswerken unattraktiv. Unternehmensjuristen müssten bei einem Verbleib in diesen Versorgungswerken nicht nur für diese Mitgliedsbeiträge entrichten, sondern auch für die gesetzliche Rentenversicherung. Die bisher mögliche Befreiung von der gesetzlichen Rente hatte den Zweck, solche Doppelzahlungen zu vermeiden. Damit entfiele eines der Hauptmotive der Unternehmensjuristen für die Zulassung zur Anwaltschaft.[5] Seitens der Anwaltschaft wird diese Entwicklung durchaus auch mit Sorge betrachtet, da die verbleibenden Anwälte nach dem Ausscheiden der Syndikusanwälte aus den Versorgungswerken auf lange Sicht mit höheren Beiträgen und einer geringeren Leistungsfähigkeit der Versorgungswerke rechnen müssen.[6]

Die Kasseler Richter erkennen zwar einen weitreichenden Vertrauensschutz für solche Syndikusanwälte an, die sich auf einen bestandskräftigen Befreiungsbescheid berufen können,[7] aber der Schutz ist unvollkommen, weil die Befreiung nach einem früheren Urteil des Senats aus dem Jahre 2012 nur für die konkrete Beschäftigung beim jeweiligen Arbeitgeber gilt, also insbesondere nicht bei einem Wechsel des Arbeitgebers oder der versicherungspflichtigen Tätigkeit.[8] Unsicher ist der Vertrauensschutz für solche Syndikusanwälte, die zwar Mitglied im Versorgungswerk sind, jedoch keinen Befreiungsbescheid erhalten haben. Sie können nur dann auf eine Befreiung vertrauen, wenn sie aufgrund einer unrichtigen Auskunft oder einer bestimmten Verwaltungspraxis des zuständigen Versicherungsträgers[9] irrtümlich davon ausgehen durften, dass die Stellung eines neuen Befreiungsantrags nach einem Arbeitgeber- oder Tätigkeitswechsel nicht erforderlich sei. In diesen Fällen ist der Versicherungsträger an die falsche Auskunft gebunden.[10]

Betroffen von den einschneidenden Veränderungen ihrer Alterssicherung sind nach einer empirischen Untersuchung von Hommerich aus dem Jahre 1998 etwa 6 %,[11] nach jüngeren Schätzungen in manchen Kammerbezirken bis zu 25 % der in Deutschland niedergelassenen Rechtsanwälte, insgesamt wohl etwa 30.000.[12] Berücksichtigt man den von Rechts wegen zu gewährenden Vertrauensschutz, dürfte die Zahl der akut Betroffenen deutlich geringer sein. Auf längere Sicht ist freilich damit zu rechnen, dass den Versorgungswerken wertvolle Beitragszahler verloren gehen. Außerdem ist unschwer zu prognostizieren, dass der Beruf des Unternehmensjuristen an Attraktivität einbüßen würde, wenn es bei der vom BSG festgestellten Rechtslage bleibt. In jenen Fällen, in denen Unternehmensjuristen keine bestandskräftigen Befreiungsbescheide erhalten haben und keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen können, drohen Unternehmen, die keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung abgeführt haben oder künftig nicht abführen, Nachzahlungen in der Größenordnung von über 50.000 Euro pro Jahr.[13]

2. Hauptzielscheibe der Kritik: das berufsrechtliche Vorverständnis des BSG

Aufgrund dieser einschneidenden Konsequenzen ist es verständlich, dass die Urteile des Bundessozialgerichts harsche Kritik hervorgerufen haben. Repräsentanten der Bundesrechtsanwaltskammer sorgen sich um die "Einheit der Anwaltschaft"[14] oder konstatieren eine "unzureichende dogmatische Stringenz"[15] der Urteilsgründe. Andere zweifeln an der Zukunftsfähigkeit des Konzepts "Syndikusanwalt",[16] befürchten ein "Berufsverbot"[17] oder gar den "Tod des Syndikusanwalts".[18]

Allerdings ist nicht zu übersehen, dass sich die Urteile des Bundessozialgerichts mit dem berufsrechtlichen Strang der Begründung ganz auf der Linie der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Anwaltssenats am Bundesgerichtshof bewegen. Dieser hat seit jeher den Syndikusanwälten in Bezug auf ihre Tätigkeit als Angestellte den Status als Rechtsanwälte abgesprochen.[19] Man sollte daher dem BSG auch nicht vorwerfen, es definiere über das Sozialrecht das anwaltliche Berufsrecht "neu".[20]

Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob das berufsrechtliche "Vorverständnis" des BSG für die Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI tatsächlich präjudiziell ist. Zwar darf eine Befreiung der Syndikusanwälte von der Rentenversicherungspflicht nur dann erfolgen, wenn diese "wegen" ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung Mitglied einer Versorgungseinrichtung und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Es muss jedoch irritieren, dass urplötzlich eine Gesetzesänderung, die fast 20 Jahre zurückliegt, zu einer völligen Abkehr von der bisherigen Befreiungspraxis führt. Es ist zwar in berufsrechtlicher Hinsicht richtig, dass die Zulassung zur Anwaltschaft den Syndikusanwälten nicht aufgrund ihrer abhängigen Beschäftigung erteilt wird,[21] sondern weil sie neben dieser Beschäftigung und unabhängig von dieser (mehr oder weniger) den Beruf des selbstständigen Rechtsanwalts ausüben. Doch es fragt sich, ob diese berufsrechtliche Wertung für die Frage der Befreiung für die Rentenversicherung von ausschlaggebender Bedeutung sein kann.[22]

Kritiker des BSG nehmen die Urteile zum Anlass, erneut die berufsrechtliche Disqualifikation des Syndikusanwalts zu bekämpfen, und verweisen mit Nachdruck darauf, dass der Syndikus auch in seiner abhängigen Stellung als Angestellter eines Unternehmens unter bestimmten weiteren Voraussetzungen anwaltlich tätig sei. Da diese Forderung unweigerlich am Leitbild der anwaltlichen Berufsausübung rüttelt und - wenn ihr nachgegeben wird - erdrutschartige Folgen für weitere Regeln des Berufsrechts zur Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit, insbesondere das umstrittene Verbot der reinen Kapitalbeteiligung Berufsfremder (sog. Fremdbesitzverbot),[23] nach sich ziehen dürfte, soll in diesem Beitrag zunächst mit der gebotenen Ausführlichkeit die Frage geklärt werden, ob der Syndikus in berufsrechtlicher Hinsicht bei seiner Tätigkeit als Unternehmensjurist als Rechtsanwalt qualifiziert werden kann oder nur - wie es die vom BGH vertretene sog. Doppelberufstheorie besagt - bei seiner selbstständigen Tätigkeit außerhalb des Unternehmens (unter II.). Anschließend ist zu untersuchen, ob die vom BSG vorgenommene Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI gesetzeskonform ist (unter III.), und welche Empfehlungen dem Gesetzgeber gegeben werden können, falls er sich zu einer Unterstützung der Syndikusanwälte entschließen sollte (unter IV.).

II. Die Doppelberufstheorie des BGH und ihre Relevanz für die sozialversicherungsrechtliche Stellung der Syndikusanwälte

1. Ursprung und Bedeutung der Doppelberufstheorie

Ihren Ursprung hat die Doppelberufstheorie - das darf man bei der aufgeregten Debatte nicht übersehen - in Diskussionen innerhalb der Anwaltschaft selbst, die in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg einsetzten und von der Befürchtung bestimmt waren, dass die Syndici in einer anwaltlichen Tätigkeit für ihren Dienstherrn in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis geraten könnten. Aus diesem Grunde und unter dem Eindruck "gewisser Missstände, die sich in der Praxis ergeben hatten", hat der Gesetzgeber im Jahre 1934 im damaligen § 31 Abs. 2 RAO die Prozessvertretung des Unternehmens durch Syndikusanwälte verboten.[24] Da es keine Anhaltspunkte für einen antisemitischen Hintergrund der Gesetzgebung gibt, sollte die nationalsozialistische "Abstammung" des Gesetzes nicht überbewertet werden. Dies gilt auch für die vielfach geäußerte Vermutung, dass die Vertretungsbeschränkung dem Interesse der selbstständigen Rechtsanwälte an Mandaten aus der Wirtschaft entgegenkam.[25] In der Präambel des Gesetzes ist zwar von einem "jedes Bedürfnis übersteigenden Zustrom zur Anwaltschaft" die Rede, so dass es möglicherweise nahe gelegen hat, der Anwaltschaft weitere Konkurrenz vom Leibe zu halten.[26] Selbst wenn diese Vermutung zuträfe, darf man aber auf der anderen Seite nicht die Augen davor verschließen, dass der Unternehmensjurist besonderen Gefährdungen ausgesetzt ist und es deshalb auch gute - objektive - Argumente für die gesetzlichen Restriktionen gab und nach wie vor gibt.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde in den Ländern der amerikanischen Zone (Bayern, Hessen, Baden-Württemberg) Syndici sogar vollständig von der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen. Bei der Verabschiedung der Bundesrechtsanwaltsordnung im Jahre 1959 folgte man dieser radikalen Lösung nicht, sondern akzeptierte, dass sich die Institution des Syndikusanwalts "im modernen Wirtschaftsleben herausgebildet und gefestigt hat".[27] Aber es sei notwendig, die beiden Aufgabenbereiche des Syndikusanwalts voneinander abzugrenzen. Die "Doppelstellung" des Syndikusanwalts[28] entsprach also den Vorstellungen des demokratischen Gesetzgebers: Anders als bei der Tätigkeit, die der Syndikus außerhalb seines Dienstverhältnisses ausübt, seien bei seiner Tätigkeit als Syndikus "die typischen Wesensmerkmale der freien Berufsausübung, die das Bild des Anwalts bestimmen, nicht gegeben".[29]

Damit war die Grundlage für die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretene "Doppelberufstheorie" gelegt. In dem ersten Urteil aus dem Jahre 1960 wurde folgerichtig die Tätigkeit des Syndikusanwalts, der auch über eine Zulassung als Rechtsanwalt verfügt, in zwei Arbeitsbereiche unterteilt: einen arbeitsvertraglich gebundenen und einen als freien Anwalt.[30] Ausschlaggebend für diese Unterscheidung ist die zentrale Bedeutung der Unabhängigkeit für das Leitbild des Anwaltsberufs. Würde man die Tätigkeit des Syndikus innerhalb des ständigen Beschäftigungsverhältnisses als anwaltliche begreifen, "wäre die Unabhängigkeit für den Rechtsanwaltsberuf nicht mehr wesentlich", konstatiert der Anwaltssenat in einem weiteren grundlegenden Urteil aus dem Jahre 1999.[31] Nachdem auch der vom DAV unterstützte, von der Bundesrechtsanwaltskammer bekämpfte Versuch, durch eine Textänderung des § 46 BRAO klarzustellen, dass Syndikusanwälte auch bei ihrer Tätigkeit für den Auftraggeber rechtsanwaltlich tätig würden, keinen Erfolg hatte,[32] schien der Kampf für die von vielen geforderte Gleichstellung der Syndikusanwälte verloren. Dies gilt erst recht, nachdem der Europäische Gerichtshof am 14.9.2010 in der Rechtssache Akzo Nobel[33] die interne Kommunikation zwischen einem Syndikusanwalt und der Unternehmensführung für nicht beschlagnahmefrei erklärt hat, weil das Anwaltsgeheimnis nur "unabhängige Anwälte" schütze.[34]

2. Wirklichkeitsfremdheit der Doppelberufstheorie?

Verstummt ist die Kritik freilich nie, weil das Leitbild der beruflichen Unabhängigkeit des Rechtsanwalts Kohärenzdefizite aufweist und die Vorstellung, dass die Syndikusanwälte in ihrem Zweitberuf einer selbstständigen anwaltlichen Tätigkeit nachgingen, als "wirklichkeitsfremd" angesehen wird.[35] "In der Regel" finde eine zweitberufliche Tätigkeit in der eigenen Kanzlei als niedergelassene Rechtsanwälte nicht statt. Und die von den Arbeitgebern der Unternehmensjuristen geforderte Freistellungserklärung, die gewährleisten soll, dass der Rechtsanwalt ein Mindestmaß an beruflicher Unabhängigkeit genieße, sei nicht ernst gemeint.[36] In der Tat dürften die meisten Syndikusanwälte ihre selbstständige Tätigkeit nicht in der eigenen Kanzlei ausüben. Die vor dem Bundessozialgericht verhandelten Fälle betreffen Anträge von Unternehmensjuristen, die entweder ihre Kanzlei in den Geschäftsräumen des Arbeitgebers ausübten[37] oder überhaupt keine Kanzlei unterhielten, sondern aufgrund ihrer "rechtsanwaltstypischen Tätigkeit" für das Unternehmen von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden wollten.[38] Der überwiegenden Mehrzahl der Unternehmensjuristen kommt es, wie die Erhebung der Soldanstiftung zeigt, vor allem auf den Zugang zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte an.[39] Die Durchschnittseinkünfte liegen unter 5.000 Euro, die durchschnittliche Arbeitszeit in der eigenen Kanzlei beträgt 5,4 Wochenstunden, und nur ein knappes Viertel der Unternehmensjuristen erzielt Gewinne von mehr als 5.000 Euro im Jahr.[40]

Vor diesem Hintergrund ist in der Tat zu bezweifeln, ob die Doppelberufstheorie der Realität gerecht wird, spielt doch die Tätigkeit als selbstständiger Rechtsanwalt keine oder allenfalls eine geringe Rolle. Dies spräche freilich allenfalls gegen die Zulassung als Rechtsanwalt,[41] brächte aber die Unternehmensjuristen ihrem Ziel, die juristische Tätigkeit für ihren Arbeitgeber als anwaltsspezifische anzuerkennen, keinen Schritt weiter. Dabei kommt es nun einmal auf darauf an, ob der Jurist eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, vereinbar ist (§§ 1 und 3, 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO). Im Übrigen dürfte es die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Kammern überfordern, wenn sie gezwungen würden, den Umfang der Tätigkeit als Rechtsanwalt zu kontrollieren. Zwar entsprechen "Feierabendanwälte" nicht dem Berufsbild des unabhängigen Rechtsanwalts,[42] aber einschreiten können die Kammern sinnvoller Weise nur dann, wenn sich aus den eingereichten Unterlagen ergibt, dass der Bewerber nicht die Möglichkeit hat, den Beruf in der geforderten Unabhängigkeit auszuüben. Daher verlangen die Kammern von denjenigen, die trotz einer hauptberuflichen Tätigkeit für einen nicht-anwaltlichen Arbeitgeber die Zulassung zur Anwaltschaft beantragen, die Vorlage einer Erklärung ihres Arbeitgebers, wonach dieser damit einverstanden sei, dass sein Mitarbeiter neben seiner Tätigkeit als Angestellter den Beruf des Rechtsanwalts ausübe und berechtigt sei, sich während der Dienststunden zur Wahrnehmung etwaiger gerichtlicher Termine und Besprechungen jederzeit von seinem Dienstplatz zu entfernen, ohne im Einzelfall eine Erlaubnis hierfür einholen zu müssen.[43] Es spricht einiges dafür, diese - häufig unrichtige - Erklärung für eine Mogelpackung zu halten.[44] Auch dürfte es streng genommen nicht toleriert werden, dass der betroffene Rechtsanwalt seine Kanzlei in den Räumen des nicht-anwaltlichen Arbeitgebers einrichtet und dadurch mit einer nicht sozietätsfähigen Person eine gem. § 59a Abs. 4 BRAO unzulässige Bürogemeinschaft eingeht.[45] Aber all dies spricht eben nur gegen die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und nicht für sie.

3. Anerkennung der Tätigkeit als "Rechtsanwalt" durch § 46 BRAO?

Ein mögliches Argument für die Qualifikation des Unternehmensjuristen als Rechtsanwalt könnte sich aus der Regelung des § 46 Abs. 1 BRAO ergeben. Die Vorschrift verbietet einem "Rechtsanwalt", für einen Auftraggeber, dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und -kraft zur Verfügung stellen muss, vor Gerichten oder Schiedsgerichten in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig zu werden, um einen Konflikt des weisungsgebundenen Syndikus mit den Anforderungen an eine unabhängige Berufsausübung zu vermeiden.[46] Daraus könnte man den Umkehrschluss ziehen, dass der Syndikus außerhalb der gerichtlichen Tätigkeit sehr wohl für das Unternehmen als "Rechtsanwalt" tätig werden könne, z.B. im Rahmen einer beratenden Tätigkeit. Da sich Syndici jedoch neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Angestellte des Unternehmens als selbstständige "Rechtsanwälte" niederlassen können, ist der Schluss keineswegs zwingend. Da die Vertretung des Arbeitgebers vor Gericht die Stellung als "Rechtsanwalt" erfordert, ist es nur konsequent, dass sich das Vertretungsverbot an den "Rechtsanwalt" wendet. Eine Aussage, dass der Syndikus stets den Status eines "Rechtsanwalts" genießen sollte, kann man dem Gesetz daher nicht entnehmen. Es widerspräche im Gegenteil den Vorstellungen des Gesetzgebers, der bei der Verabschiedung der BRAO ausdrücklich betont hatte, dass die gebundene Tätigkeit des Syndikus nicht als anwaltliche angesehen werden könne.[47]

4. Kohärenzdefizite

a) Das Leitbild der beruflichen Unabhängigkeit und seine Bedeutung für das Berufsrecht

Der Beruf des Rechtsanwalts unterscheidet sich von anderen rein gewerblichen Berufen durch seine rechtsstaatliche Funktion. Beratung und Vertretung durch kompetente Rechtsanwälte sind unerlässliche Voraussetzungen für die Behauptung und Durchsetzung des Rechts. Aus diesem Grunde gehört die berufliche Unabhängigkeit zu den prägenden Leitbildern des Anwaltsberufs[48]. So sehr dieses Leitbild das anwaltliche Berufsrecht prägt, so massiv sind andererseits die Zweifel an der Operationalität dieses Kriteriums.[49] Über "Allgemeinplätze voller Pathos" sei man bisher nicht hinausgekommen, klagt seit langem Michael Kleine-Cosack, und bekämpft vehement den "Unabhängigkeitsmythos".[50] Auch für Susanne Offermann-Burckart bleibt die Vorstellung, dass der Rechtsanwalt seinen Beruf im Zustande annähernder, geschweige denn vollkommener Unabhängigkeit ausübe, ein "Mysterium".[51] Die Skepsis gegenüber der Tragfähigkeit der Unabhängigkeit als Leitbild des Anwaltsberufs wurzelt in der evident richtigen Feststellung, dass der Rechtsanwalt naturgemäß vielfältigen Bindungen wirtschaftlicher, politischer, gesellschaftlicher und rechtlicher Art ausgesetzt sein kann, ohne dass diese Bindungen per se ein Hindernis für seine Berufsausübung bilden könnten.

Dennoch macht es Sinn zu differenzieren. Der Gesetzgeber kann und muss auf Situationen reagieren, in denen die Unabhängigkeit der Berufsausübung besonderen Gefährdungen ausgesetzt ist. Das gilt nicht nur für die Verhinderung staatlicher Einflussnahme, sondern auch für die Vermeidung privater Fremdbestimmung, auch wenn diese nicht vollkommen ausgeschaltet werden kann. Insofern erscheint es sinnvoll, der Berufsausübungsfreiheit vor allem dort Schranken zu setzen, wo einerseits in typisierbarer Form Interessenkonflikte und Gefährdungslagen identifiziert werden können, andererseits praktikable und nachprüfbare Vorkehrungen zum Schutze der Unabhängigkeit möglich sind.[52] Um solche typisierbaren Konstellationen mit erhöhtem Gefährdungspotential handelt es sich, wenn der Rechtsanwalt dem Einfluss berufsfremder Mitgesellschafter ausgesetzt oder durch Zweitberufe in Interessenkonflikte geraten kann. Es handelt sich um Situationen, in denen sich die Gefahr von Interessenkonflikten - wie das BVerfG in der Zweitberufsentscheidung formuliert hat - "deutlich abzeichnet" oder "von vorneherein absehbar ist".[53] In solchen Konstellationen erscheint es sachgerecht und verhältnismäßig, wenn der Gesetzgeber zum stärksten Eingriffsinstrument der Berufszulassungsschranke greift und z.B. Kapitalbeteiligungen durch Berufsfremde gem. §§ 59a, 59e BRAO, die Ausübung von konfliktträchtigen Zweitberufen (§§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO) sowie die interprofessionelle Zusammenarbeit und gemeinschaftliche Berufsausübung in Gesellschaften, die von Berufsfremden dominiert werden, beschränkt bzw. verbietet. Ein erhöhtes und zugleich typisierbares Gefährdungspotential besteht auch beim Vermögensverfall des Rechtsanwalts,[54] bei der Vereinbarung eines Erfolgshonorars[55] und bei der Beschäftigung von Unternehmensjuristen.[56]

b) Die Beschränkung der Berufszulassungsschranken auf typisierbare und effektiv beherrschbare Gefährdungen der anwaltlichen Unabhängigkeit

Die Bedrohung durch wirtschaftliche, politische und soziale Zwänge ist für Rechtsanwälte allgegenwärtig. Deshalb würde es keinen Sinn machen, die Zulassung zur Anwaltschaft davon abhängig zu machen, dass der Rechtsanwalt auch in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht unabhängig ist.[57] Gewiss ist die Sorge berechtigt, dass ein Teil der Rechtsanwaltschaft zur Existenzsicherung gezwungen ist, jedes Mandat anzunehmen und so in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zum Auftraggeber geraten kann. In diesen Fällen ist die Rechtspflege durchaus in Gefahr. Das wird in dem sorgfältig recherchierten, aber mangels empirischer Datenerhebung nur bedingt aussagekräftigen Buch des Journalisten Joachim Wagner über den Zustand der deutschen Anwaltschaft in Einzelfällen nachdrücklich belegt.[58] Begrenzen oder gar verhindern kann man solche Bedrohungen nur in begrenztem Umfang. Es wäre unverhältnismäßig und unpraktikabel, die Zulassung zur Anwaltschaft z.B. zu versagen oder zu widerrufen, sofern und solange der Rechtsanwalt nicht bestimmte Mindestumsätze vorweisen kann oder von einzelnen Großmandaten[59] abhängig ist. Das schließt nicht aus, dass einzelnen Gefahren durch intelligente und schonende Steuerungsinstrumente begegnet werden kann. Zum Beispiel könnte ein effektiver Schutz gegen Veruntreuung von Mandantengeldern darin bestehen, dass Anwälte für Fremdgelder Anderkonten einrichten und verwalten müssen.[60]

Sofern es an griffigen Instrumentarien fehlt, muss man sich darauf verlassen, dass der Anwalt seine Funktion als Organ der Rechtspflege Ernst nimmt, die gesetzlichen Bestimmungen einhält und einem etwaigen ungesetzlichen Ansinnen des Mandanten kraft seines Berufsethos widersteht. Rechtsanwälte stehen in einem Reputationswettbewerb, so dass für sie ein erhebliches Interesse daran besteht, ihre Mandanten fair und anständig zu behandeln. Von Vertretern einer ökonomischen Ethik[61] wird mit Recht darauf hingewiesen, dass individuelle Freiheit nie voraussetzungslos gewährt wird, sondern von anderen Akteuren (vom Staat oder von Dritten) gewährt wird. Wird von Freiheit unverantwortlicher Gebrauch gemacht, muss man damit rechnen, dass die Geschädigten reagieren und die Freiheit einschränken.[62] Auch Joachim Wagner muss einräumen, dass es keine Anzeichen dafür gibt, dass "eine Mehrheit der Advokaten Berufsrecht oder Berufsethik verletzt".[63]

So bleibt zwar der Einwand, dass ethisches Verhalten nicht vollkommen sichergestellt wird und auch nicht effektiv sichergestellt werden kann. Aber man würde das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn man deswegen auf Regelungen verzichten würde, welche die beschriebenen typisierbaren Gefährdungen der anwaltlichen Unabhängigkeit zu bekämpfen suchen. Bei der Festlegung, welche Gefahren typisierbar sind und effektiv bekämpft werden können, hat der Gesetzgeber eine gewisse Gestaltungsfreiheit. Von dieser Freiheit hat er bei den Regelungen zum Widerruf bei Vermögensverfall, bei den Regeln über die Fremdbesitzverbote, den Formen beruflicher und gesellschaftsrechtlicher Zusammenarbeit, den Nebentätigkeitsverboten und den Beschränkungen für Syndikusanwälte in nachvollziehbarer Weise Gebrauch gemacht.

Zwar provoziert er damit Kohärenzprobleme, aber diese sind nicht unlösbar. Kohärenz bedeutet Widerspruchsfreiheit, deckt sich also mit dem Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierungen sind daher erlaubt, wenn es dafür sachliche Gründe gibt. Diese werden von den Kritikern am Fremdbesitzverbot, den Beschränkungen der interprofessionellen Zusammenarbeit und den Beschränkungen für Syndikusanwälte beharrlich ignoriert. Um es noch einmal zu betonen: Die sachliche Differenzierung der unterschiedlichen Reaktion des Gesetzgebers auf das Phänomen "Abhängigkeit" und "Fremdbestimmung" besteht in der Beschränkung der Verbote auf solche Tatbestände, in denen ein besonderes, typisierbares Gefährdungspotential identifiziert werden kann und zugleich die praktische Möglichkeit besteht, durch Berufsausübungsschranken dieser Gefahr zu begegnen und damit insgesamt das Niveau der Gefährdung der Rechtspflege und der Mandanten in Grenzen zu halten. Wer vollkommene Unabhängigkeit verlangt, verlangt Unmögliches. Wer für den Abbau von Schranken eintritt, riskiert eine Vergrößerung der Missstände und gefährdet die Rechtspflege.

c) Differenzierung zwischen anwaltlichen und nicht-anwaltlichen Arbeitgebern

Ein besonders beliebtes Argument ist die Ungereimtheit, die in der Differenzierung zwischen anwaltlichen und nicht-anwaltlichen Arbeitgebern angestellter Juristen bestehen soll.[64] Natürlich sei auch der in einer Anwaltskanzlei angestellte Rechtsanwalt nicht unabhängig in der Bearbeitung seiner Mandate. Das mag durchaus zutreffen, ändert aber nichts daran, dass bei der Abhängigkeit zwischen anwaltlichen und nicht-anwaltlichen Arbeitgebern gewichtige Unterschiede bestehen. Zum einen wird zurecht darauf hingewiesen, dass der anwaltliche Arbeitgeber seinerseits an das Berufsrecht gebunden ist[65] und bei berufswidrigem Verhalten und entsprechenden Weisungen an den angestellten Rechtsanwalt berufsrechtliche Sanktionen befürchten muss, im schlimmsten Fall den Widerruf der Zulassung.

Noch viel wichtiger ist ein teleologischer Gesichtspunkt. Die Ausrichtung der berufsrechtlichen Schranken am Leitbild der beruflichen Unabhängigkeit hat den Zweck, die Belange der Rechtspflege und die Mandanten zu schützen. Es geht nicht um die persönliche Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, sondern um seine institutionelle Unabhängigkeit. Insoweit ist aber die Rechtspflege durch Rechtsanwälte, die bei anwaltlichen Arbeitgebern angestellt sind, keiner größeren Gefährdung ausgesetzt, als sie es wäre, wenn der anwaltliche Arbeitgeber selbst tätig wäre oder wenn der angestellte Rechtsanwalt das Mandat als selbstständiger Rechtsanwalt bearbeiten würde. Wenn der Gesetzgeber aber beim selbstständigen Rechtsanwalt davon ausgeht, dass dieser aufgrund seiner Unabhängigkeit die Belange der Rechtspflege gegenüber Mandanten und Dritten wahrt und verteidigt, besteht kein Grund zu der Annahme, dass bei der Beschäftigung von angestellten Rechtsanwälten diese Belange in geringerem Maße gewahrt und verteidigt würden. Insofern besteht kein Anlass, im Tätigwerden des angestellten Rechtsanwalts ein strukturell erhöhtes Risiko für die Gefährdung der Rechtspflege anzunehmen und über die bestehenden Berufspflichten hinaus zusätzliche Schranken für die Berufsausübung zu errichten. Die quantitative Vergrößerung der Risiken durch den Effekt der Arbeitsteilung kann angesichts des Umstandes, dass berufswidriges Verhalten - entgegen der Insinuation von Joachim Wagner[66] - ein singuläres Phänomen ist, vernachlässigt werden.

Beim nicht-anwaltlichen Arbeitgeber verhält es sich anders: Dieser nimmt gegenüber dem Syndikusanwalt sowohl die Rolle des Auftraggebers als auch die des Arbeitgebers ein. Konflikte zwischen den - rein ökonomischen - Interessen des Unternehmens und Belangen der Rechtspflege schlagen unmittelbar auf den Syndikusanwalt durch, weil dieser aufgrund seiner persönlichen Abhängigkeit - anders als der selbstständige Rechtsanwalt - nicht in der Lage ist, im Konfliktfall die Belange der Rechtspflege zu verteidigen. Es handelt sich um die gleiche Gefährdungslage, wie sie bei einer Kapitalbeteiligung durch berufsfremde Dritte besteht.

d) Unabhängigkeit des Unternehmensjuristen aufgrund normativer Bindungen (corporate governance, compliance)

Im Schrifttum wird ferner geltend gemacht, dass der angestellte Unternehmensjurist selbstverständlich auch unabhängig sei, jedenfalls fachlich. In den Anstellungsverträgen wird ihm in der Regel zugestanden, bei der Beurteilung juristischer Fragestellungen keinerlei Weisungen ausgesetzt zu sein.[67] Auf der anderen Seite sei der Syndikus aufgrund seiner Zulassung zur Anwaltschaft an das anwaltliche Berufsrecht gebunden und durchaus "Organ der Rechtspflege". Aufgrund seiner Bindung an nicht-ökonomische, normative Pflichten bestünde ein Rechtsrahmen, der den ökonomischen Interessen der Unternehmensleitung Schranken setze und dem Syndikus die Funktion als "rechtliches Gewissen" des Unternehmens zuweise. Dies gelte umso mehr, als sich das Berufsbild des Unternehmensjuristen gewandelt habe. Dieser habe - anders noch als vor 20 Jahren - die Funktion, im Interesse guter Unternehmensführung (good corporate governance) darauf zu achten, dass Gesetz und Recht durch die Unternehmensleitung und die Mitarbeiter eingehalten werden.[68] Dass dies nicht immer funktioniert und trotz der Haftungsrisiken für das Unternehmen und seine Organe nicht verhindert hat, dass die Öffentlichkeit mit immer wieder neuen Unternehmens- und Wirtschaftsskandalen konfrontiert wird, ist freilich eine Binsenweisheit. Empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit unternehmensinterner Compliance haben gerade nicht belegen können, dass die unternehmensinternen Kontrollmechanismen effektiv greifen, insbesondere wenn die betreffende Unternehmensleitung keine ethischen Standards vorlebt.[69]

Auch der Umstand, dass gesetzes- und berufsrechtswidrige Weisungen rechtlich nicht durchgesetzt werden könnten,[70] ist angesichts der sozialen Abhängigkeit des angestellten Unternehmensjuristen kein durchschlagender Einwand. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Akzo Nobel mit Recht nicht berücksichtigt, dass der in den Niederlanden als Rechtsanwalt zugelassene Syndikus-Anwalt nach niederländischem Recht ausdrücklich von den Weisungen seines Arbeitgebers freigestellt war.[71] In ihrem Schlussantrag hatte die Generalanwältin Juliane Kokott mit Recht darauf hingewiesen, dass es nicht gesichert sei, dass diese förmliche Gewährleistung in Wirklichkeit auch eingehalten werde.[72] Wie groß die Interessenkonflikte sein können, denen Syndikus-Anwälte ausgesetzt sein können, kann man z.B. in einem Urteil des BGH vom 25.2.1999 nachlesen. Dort hatte ein Syndikus aufgrund einer Weisung seines Arbeitgebers sich dazu bereit erklärt, gegenüber einem Vergabeausschuss den unzutreffenden Eindruck einer neutralen Stellungnahme zu erwecken, um für "sein" Unternehmen einen Auftrag in der Größenordnung von 30 Mio. DM zu erlangen.[73]

5. Vorkehrungen zum Schutze der Rechtspflege

Natürlich geht es nicht darum, dass man einen ganzen Berufsstand unter Generalverdacht stellt. Es ist aber sinnvoll, angesichts der besonderen Gefährdung, die bei einer potentiellen Einflussnahme durch berufsfremde Dritte droht, Vorkehrungen zum Schutze der Rechtspflege zu treffen. Auf dem gleichen Grundgedanken beruhen u.a. das Verbot des Fremdbesitzes und die Einschränkungen der beruflichen Zusammenarbeit sowie für zweitberufliche Tätigkeiten. Der Einwand, dass auch der selbstständige Anwalt "in heutiger Zeit in jeder Hinsicht vergleichbaren Gefährdungen gegenüber seinem Mandanten und der Rechtspflege" unterliege,[74] vernachlässigt, dass es sich bei der Berufsausübung durch Juristen, die den Weisungen Berufsfremder unterliegen, um ein strukturelles Phänomen handelt, dem ein erhöhtes und juristisch fassbares Gefährdungspotential immanent ist.[75]

Gewiss entspricht es dem berechtigten Interesse der Unternehmen, sich bei der Beratung in juristischen Angelegenheiten von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen, der die Verhältnisse des Unternehmens kennt.[76] Dieses Recht wird jedoch grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Problematisch ist nur der anwaltliche Status des Syndikus im Rahmen seiner Tätigkeit als Angestellter. Die damit begründeten Einschränkungen z.B. in Bezug auf die gerichtliche Vertretung des Arbeitgebers oder die Versagung des Geheimnisschutzes muss der Syndikus-Anwalt hinnehmen. Es gibt kein Recht, den Anwaltsberuf ohne Rücksicht auf mögliche Gefährdungen der Belange der Rechtspflege ausüben zu können. Das Interesse an einer effektiven Beratung durch unternehmensinterne Juristen verdient nur insoweit Anerkennung, als Gründe des Gemeinwohls nicht entgegenstehen.

6. Anwaltliche Privilegien ohne Bezug zur beruflichen Unabhängigkeit

Auf einem anderen Blatt steht, ob dem Syndikusanwalt solche Privilegien vorenthalten werden sollen, bei denen der Schutz der beruflichen Unabhängigkeit keine Rolle spielt. So bestehen z.B. keine Bedenken, Leistungen, die der Syndikus bei seiner Tätigkeit als Unternehmensjurist erbracht hat, bei der Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung in vollem Umfang zu berücksichtigen.[77] Entsprechendes sollte entgegen der restriktiven Rechtsprechung des BGH[78] auch für Leistungen gelten, die bei der Auswahl der Bewerber für das Amt des Anwaltsnotars zu berücksichtigen sind.[79] Auch bei der Frage, ob Syndikus-Anwälten das Recht zustehen sollte, sich von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien, sollte unter teleologischen Gesichtspunkten keine Rolle spielen, ob der Syndikusanwalt die erforderliche berufliche Unabhängigkeit besitzt. Insofern drängt es sich förmlich auf, zu prüfen, ob eine entsprechende (erweiternde) Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI möglich ist.

III. Zur Bedeutung der berufsrechtlichen Unabhängigkeit des Syndikusanwalts für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht

1. Notwendigkeit teleologischer Auslegung

§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ermöglicht seit der Reform im Jahre 1996 die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung für die Beschäftigung, "wegen dersie" aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und einer berufsständischen Kammer sind. Nach Auffassung des BSG erfolgt jedoch die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft weder im Blick auf eine bestimmte "Beschäftigung" noch auf einen bestimmten Kreis anwaltlicher Betätigungen, sondern "personenbezogen". Da somit streng genommen kein Rechtsanwalt die Befreiungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfülle, erfordere die Funktion der Vorschrift ein angepasstes Verständnis des Tatbestandselements "Beschäftigung". Dem Gesetzgeber sei es um die Vermeidung einer Doppelbelastung durch beide Sicherungssysteme gegangen; diese stimmten darin überein, dass sie - als minus gegenüber der "Beschäftigung" - beide an die Ausübung einer "Erwerbstätigkeit" anknüpfen. Da aber die Erwerbstätigkeit des Syndikusanwalts wegen dessen fehlender Unabhängigkeit dem "Berufsfeld" des Rechtsanwalts "von vornherein nicht zugeordnet werden" könne, erfülle dieser nicht die Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift.[80] Der Syndikusanwalt sei Rechtsanwalt, "nicht weil er Syndikus ist, sondern weil er sich aufgrund einer nur deshalb erteilten Zulassung unabhängig hiervon und daneben gesondert als Rechtsanwalt betätigt".[81]

Wer so formal argumentiert, muss sich die Frage gefallen lassen, ob dem Sinn und Zweck des Gesetzes ausreichend Rechnung getragen wird. Eine rein grammatische Auslegung verbietet sich strenggenommen schon deswegen, weil der Bezugspunkt der "Beschäftigung" von vorneherein nicht dazu geeignet ist, die Kammerzugehörigkeit eines Rechtsanwalts zu begründen. Ob die Interpretation des BSG, wonach es stattdessen auf die "Erwerbstätigkeit" ankomme, dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht, ist zweifelhaft. Wenn die Zulassung zur Anwaltschaft nicht auf der "Beschäftigung" beruht und man sich vom Wortlaut des Gesetzes lösen muss, erscheint es überzeugender, danach zu fragen, ob die versicherungspflichtige Tätigkeit "materiell-rechtlich" eine anwaltliche ist - so wie dies im Ausgangspunkt der jahrelangen Befreiungspraxis anhand des "Vier Kriterien Katalogs" entsprochen hat. Da überdies die Feststellung des BSG, dass der Syndikusanwalt wegen seiner "Erwerbstätigkeit" für das Unternehmen nicht zur Anwaltschaft zugelassen werden könnte, in erster Linie mit seinem "Status" als "Angestellter" begründet wird, also gerade nicht mit dessen Tätigkeit, erweist sich die sozialversicherungsrechtliche Auslegung als dogmatisch inkonsistent.[82] Ist somit bereits zweifelhaft, ob auf die versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit abgestellt werden kann, so ist vollends zweifelhaft, wieso der berufsrechtliche Status des Syndikusanwalts für die Frage der Befreiung von der Versicherungspflicht den Ausschlag geben sollte, ist doch der Mangel der beruflichen Unabhängigkeit unter versorgungsrechtlichen Gesichtspunkten völlig irrelevant. Insofern drängt es sich geradezu auf, die von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI geforderte Kammerzugehörigkeit des Mitglieds nicht davon abhängig zu machen, ob sie aufgrund der "Beschäftigung" erfolgt, sondern als ein Minus gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes ausreichen zu lassen, dass der betreffende Bewerber als Rechtsanwalt Mitglied der einschlägigen Berufskammer ist und im Rahmen seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung wie ein Rechtsanwalt tätig ist.

2. Versagung der Zulassung wegen fehlender Unabhängigkeit

Gegen das Abstellen auf die "Erwerbstätigkeit" des Syndikus wird eingewendet, dass die Zulassung zur Anwaltschaft keine "Beschäftigung" oder "Erwerbstätigkeit" voraussetze, sondern lediglich einen Antrag auf Zulassung (§ 6 Abs. 1 BRAO), die Befähigung des Antragstellers zum Richteramt oder ein Äquivalent i.S.d. § 4 BRAO sowie eine im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, in der er Mitglied ist, eingerichtete und unterhaltene Kanzlei (§ 27 BRAO).[83] Dem lässt sich zwar entgegenhalten, dass § 7 Nr. 8 BRAO die Zulassung auch davon abhängig macht, ob der Bewerber eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege vereinbar ist und schon in den Gesetzesmaterialien deutlich gemacht wurde, dass ein Syndikus im Rahmen seiner abhängigen Tätigkeit dieses Voraussetzungen nicht erfüllt.[84] Aber dieser Einwand bezieht sich eben nur auf die berufsrechtliche Stellung des Syndikus, die für die Berufsausübung von grundlegender Bedeutung ist, nicht aber für die sozialversicherungsrechtliche Fragestellung.

3. Wille des Gesetzgebers zum Fortbestand der früheren Befreiungspraxis?

Gegen eine Abkehr von der jahrelangen Befreiungspraxis der Deutschen Rentenversicherung spricht ferner, dass der Wille des Gesetzgebers, diese anlässlich der Reform des SGB VI im Jahre 1996 zu ändern, nicht mit der erforderlichen Klarheit zum Ausdruck gekommen ist. Zu Recht wird im Schrifttum darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber mit Blick auf die damals zunehmende Ausweitung berufsständischer Versorgungswerke darum gegangen sei, "vor allem dem drohenden Erosionsprozess in der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten Einhalt gebieten".[85] In der amtlichen Begründung wird in der Tat auf die "jüngste Erstreckung der berufsständischen Versorgung auf neue Berufsgruppen (Wirtschaftsprüfer, Bauingenieure)" verwiesen und insbesondere betont, dass mit der vorgesehenen Beschränkung des Befreiungsrechts "im Ergebnis die seit langem akzeptierte Abgrenzung zwischen berufsständischer Versorgung und gesetzlicher Rentenversicherung in ihrer bisherigen Ausprägung gefestigt" werde.[86] Wegen der großen Bedeutung, die eine Veränderung der Rechtslage nicht nur für Syndikusanwälte, sondern auch für die Versorgungswerke hat, hätte es nahegelegen, diesen Willen deutlicher zum Ausdruck zu bringen, wenn man von der bisherigen Befreiungspraxis für diese Berufsgruppe wirklich abrücken wollte.

4. Verfassungskonforme Auslegung mit Blick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung

Gegen eine solche Abkehr von der bisherigen Befreiungspraxis sprechen schließlich verfassungsrechtliche Bedenken.[87] Für viele Angehörige der Freien Berufe besteht nämlich trotz der Verschärfung der gesetzlichen Voraussetzungen weiterhin die Möglichkeit der Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht. Insofern kommt es auf der Grundlage der BSG-Urteile zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung, die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI hätte behoben werden können und müssen. An der doppelten Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung und den Versorgungswerken hat sich nämlich für die vergleichbaren Freien Berufe der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Architekten nichts geändert. Im Schrifttum wird mit Recht davon ausgegangen, dass diese Berufsträger jedenfalls bei einer berufsspezifischen Tätigkeit auch in Angestelltenverhältnissen als Ärzte, Zahnärzte usw. tätig seien und "wegen dieser Tätigkeit" sowohl der berufsständischen Kammer als auch dem jeweiligen Versorgungswerk angehörten.[88] Für diese Berufsgruppen spielt in den einschlägigen Berufsrechten die berufliche Unabhängigkeit keine vergleichbare Rolle, so dass es keinem Zweifel unterliegt, dass sie in ihrer Eigenschaft als Ärzte, Zahnärzte usw. Kammermitglieder sein können. Nur bei Syndikus-Steuerberatern treten die gleichen Probleme auf wie bei Syndikus-Anwälten.[89] Eine unterschiedliche Behandlung der vergleichbaren Berufsgruppen wäre jedoch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht nicht gerechtfertigt, da die berufliche Unabhängigkeit insoweit ohne jede Bedeutung ist und keine Interessenkonflikte zu besorgen sind. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ist daher darauf abzustellen, ob die "Beschäftigung" des Syndikus, wäre er berufsrechtlich unabhängig, bei "materieller" Betrachtung als anwaltliche anzusehen ist. Das entspräche der früheren Befreiungspraxis der Gesetzlichen Rentenversicherung anhand des "Vier-Kriterien-Katalogs", wobei freilich die teilweise überzogenen Anforderungen an den anwaltlichen Charakter der Tätigkeit - insbesondere das Kriterium der Streitentscheidung - keine Gefolgschaft verdienen.

IV. Gesetzesinitiative zur Verbesserung der Rechtsstellung der Syndikusanwälte

Falls man sich wegen des Wortlauts des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht zu einer verfassungskonformen Auslegung entschließen kann, müsste jedenfalls der Gesetzgeber die verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung der verschiedenen Berufsgruppen korrigieren. Es gibt Anzeichen, dass die Regierungskoalition die Initiative ergreifen und noch vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die anhängige Beschwerde gegen das Urteil des BSG einen Gesetzentwurf ins Parlament einbringen wird. Die gebotene Befreiung der Syndikusanwälte von der gesetzlichen Rentenversicherung sollte dann allerdings nicht - wie dies dem Berufsrechtsausschuss des DAV[90] und zahlreichen Autoren[91] vorschwebt - durch eine Änderung der BRAO herbeigeführt werden, sondern durch eine Änderung des SGB VI.

Aus Sicht des Berufsrechts gibt es keine Bedenken, Syndikusanwälten die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung zu ermöglichen, obwohl diese in ihrer Eigenschaft als Unternehmensjuristen nicht als Rechtsanwälte zugelassen werden. Mit dieser Akzentsetzung ist den Bedenken des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, dass das anwaltliche Berufsrecht nicht "über das Sozialrecht" definiert werden dürfe,[92] zuzustimmen. Für die Zugehörigkeit zum berufsständischen Versorgungswerk sollte es - wie eben dargelegt - nicht darauf ankommen, ob die Tätigkeit der Syndikusanwälte dem Leitbild der Unabhängigkeit entspricht, sondern darauf, ob es sich nach der Art der Tätigkeit "materiell" um eine anwaltliche handelt. Insofern sollten sich Syndikusanwälte - wie dies früher der Praxis entsprach - als selbstständige Rechtsanwälte niederlassen und die Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer beantragen können. Das Recht würde sich auf diesem Wege wieder der Rechtswirklichkeit anpassen. Um die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung zu erreichen, sollte es genügen, dass diese sich als Rechtsanwälte niederlassen und in ihrer Tätigkeit für das Unternehmen "wie Rechtsanwälte oder Steuerberater" tätig sind. Eine solche Regelung für Syndikus-Anwälte und Syndikus-Steuerberater könnte in § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI als Nr. 1a eingefügt werden und wie folgt lauten:

"Angestellte, die in einem ständigen Dienstverhältnis wie ein Rechtsanwalt oder Steuerberater tätig sind, aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind und die Voraussetzungen von lit. a)-c) gemäß Nr. 1 erfüllen".

Hingegen ist vor dem verbreiteten Vorschlag zu warnen, § 46 BRAO neu zu fassen und die Tätigkeit des Syndikusanwalts - abgesehen von der Vertretungsbefugnis vor Gericht - in vollem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit gleich zu stellen.[93] Abgesehen davon, dass die Tätigkeit des Syndikusanwalts so viele Besonderheiten aufweist, dass viele Bestimmungen des anwaltlichen Berufsrechts nicht passen - angefangen von den Regeln über die berufliche Zusammenarbeit, Werbeverboten, die Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung, das Verbot des Erfolgshonorars bis hin zum Schutz des Berufsgeheimnisses - und deshalb im Schrifttum zurecht vor einer allzu schematischen Gleichstellung des Syndikus mit dem Rechtsanwalt gewarnt wurde,[94] bestehen vor allem deshalb Bedenken, weil mit der Preisgabe des Unabhängigkeitsdogmas für Syndikusanwälte das Leitbild des Anwaltsberufs endgültig zur Disposition stünde. Es gäbe dann insbesondere keinen Grund mehr, am Fremdbesitzverbot festzuhalten, weil dessen einzige Rechtfertigung im Schutz der beruflichen Unabhängigkeit besteht. Entsprechendes würde für das Verbot des Erfolgshonorars, die Tätigkeitsverbote bei Nebentätigkeiten und die Beschränkungen der beruflichen Zusammenarbeit und der gesellschaftlichen Zusammenschlüsse gelten.

Wie sehr diese Themen auf das Engste miteinander verwoben sind, zeigt der Hinweis von Kilian, dass das Sozialrecht die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht verhindern könne, wenn Unternehmen ihre Rechtsangelegenheiten von einer ausgegründeten und in ihrem Besitz befindlichen Rechtsanwalts-GmbH von dort angestellten Rechtsanwälten besorgen ließen.[95] Noch scheitern solche Konstruktionen am bestehenden Fremdbesitzverbot der BRAO. Das Beispiel demonstriert jedoch eindringlich, wie wichtig es ist, die berufliche Unabhängigkeit des Rechtsanwalts zu sichern. Es fällt schwer, darauf zu vertrauen, dass das Bestehen von Berufspflichten und vertraglich zugesicherte Weisungsfreiheit ausreichen sollen, um die Rechtspflege effektiv zu schützen.

Die verbreitete Befreiungspraxis, anhand eines Vier-Kriterien-Katalogs zu prüfen, ob die versicherungspflichtige Tätigkeit als anwaltliche einzustufen war, war im Ansatz sachgerecht, führte jedoch zu überzogenen Anforderungen an das Tätigkeitsprofil des Syndikus. In Zukunft sollte sich die Prüfung darauf beschränken, ob der angestellte Jurist wie ein Anwalt beruflich tätig ist. Eine solche Prüfung ist bereits auf der Grundlage einer teleologischen und verfassungskonformen Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI möglich und geboten, indem (sozialversicherungsrechtlich) auf die berufliche Unabhängigkeit des Berufsträgers verzichtet wird. Um Rechtssicherheit herzustellen, wäre eine entsprechende ausdrückliche Regelung durch den Gesetzgeber wünschenswert, aus verfassungsrechtlicher Sicht sogar geboten. Es kommt daher nicht darauf an, ob dem Gesetzgeber am Schicksal der Syndikusanwälte mehr gelegen ist als am Beitragsaufkommen der gesetzlichen Rentenversicherung.[96]

V. Zusammenfassung

1. Das Bundessozialgericht hat in seinen Urteilen vom 3.4.2014 zwar die berufsrechtliche Stellung des Syndikus zutreffend nachgezeichnet, aber zu Unrecht für die sozialversicherungsrechtliche Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung am Erfordernis der beruflichen Unabhängigkeit festgehalten.

2. In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht ist die berufliche Unabhängigkeit des Syndikus ohne sachliche Bedeutung, da in diesem Kontext mögliche Interessenkonflikte keine Rolle spielen und angestellte Unternehmensjuristen (sozialversicherungsrechtlich) nicht schlechter gestellt werden dürfen als vergleichbare freie Berufe (Ärzte, Architekten).

3. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist in teleologischer und verfassungskonformer Auslegung so auszulegen, dass als Minus gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes genügt, dass der betreffende Bewerber als Rechtsanwalt Mitglied der einschlägigen Berufskammer ist und im Rahmen seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung wie ein Rechtsanwalt tätig ist.

4. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass auch Syndikusanwälten der Zugang zu den Versorgungswerken offen steht, wenn sie sich als Rechtsanwälte niederlassen und im Rahmen ihrer abhängigen Beschäftigung "materiell" wie Rechtsanwälte tätig sind.

5. Dagegen sollte die vielfach geforderte berufliche Qualifikation der Angestelltentätigkeit der Syndikusanwälte als anwaltliche in § 46 BRAO nicht vorgenommen werden, da sonst eine Erosion des Leitbilds der beruflichen Unabhängigkeit droht.

6. In berufsrechtlicher Hinsicht ist am Erfordernis der beruflichen Unabhängigkeit des Rechtsanwalts festzuhalten, um strukturellen Gefährdungen durch berufsfremde Einflüsse, wie sie insbesondere Unternehmensjuristen drohen oder bei der Beteiligung von Fremdkapital an Rechtsanwaltsgesellschaften zu besorgen sind, wirksam zu b


* Erstveröffentlichung in den BRAK-Mitteilungen 6/2014, 282 ff.

** Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Anwaltsrecht, Familienrecht und Rechtssoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin und geschäftsführender Direktor des Instituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin.

[1] Urt. v. 3.4.2014, B 5 RE 3, 9 und 13/14 R, NJW 2014, 2743; WM 2014, 1883; juris.- Ablehnend Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891; Prütting, AnwBl. 2014, 788 ff.; Filges, BRAK-Mitt. 2014, 225; Krenzler, BRAK-Mitt. 2014, 128; Heise, AnwBl. 2014, 936.

[2] Eingehend dokumentiert von Becker, ZfA 2014, 87 (92 ff.).

[3] Filges, BRAK-Mitt. 2014, 225; Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778.

[4] Gegen eines der Urteile hat der betroffene Jurist Verfassungsbeschwerde erhoben, vgl. Legal Tribune Online, 24.9.2014, http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/syndikus-anwaelte-versicherungspflicht-bsg-verfassungsbeschwerde/ (zuletzt abgerufen am 17.11.2014).

[5] So die Ergebnisse der jüngsten Studie des Soldan-Instituts, Kilian, Die junge Anwaltschaft: Ausbildung, Berufseinstieg, Berufskarrieren 2014; ders., AnwBl. 2014, 468 (471).

[6] Henssler, BB 20/2014, Erste Seite; Kilian, AnwBl. 2014, 468 (470 f.).

[7] BSG (Fn. 1), NJW 2014, 2743 (2752), Rdnr. 58; eingehend dazu Becker, ZfA 2014, 87 ff. (zusammenfassend 128 f.); Leßmann/Herrmann, DB 2014, 2227 ff.; Rolfs/Marcelli, NZA 2014, 574 (578 ff.).

[8] BSG, NJW 2013, 1624; 2013, 1628 und 2013, 1901; dazu Prossliner NZA 2013, 1384; Rolfs/Marcelli, NZA 2014. 574 (575).

[9] Zur entsprechenden Verwaltungspraxis der DRV Leßmann/Herrmann, DB 2014, 2227 (2230); Becker.

[10] Becker, ZfA 2014, 87 (116 f., 125 f.).

[11] Prütting/Hommerich, Das Berufsbild des Syndikusanwalts 1998; Kurzfassung AnwBl. 11/1997, Beilage; Benckendorff, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, § 14, Rdnr. 32.

[12] Laut Prütting, AnwBl. 2014, 788 (798); vgl. auch Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778; Strohm/Lorenz, Legal Tribune online 10.12.2013; Huff, legal tribune online v. 22.7.2010 und v. 8.10.2014.

[13] Leßmann/Herrmann, DB 2013, 114 (115).

[14] Vgl. die Nachweise oben Fn. 3.

[15] Krenzler, BRAK-Mitt. 2014, 128 (131).

[16] Kilian, AnwBl. 2014, 468.

[17] Prütting, AnwBl. 2014, 788.

[18] Heinicke, AnwBl. 2014, 638.

[19] BGHZ 33, 266 (268); 141, 69 (75 f.); vgl. auch zur Unvereinbarkeit mit Zweitberufen BGH, NJW-RR 1999, 570; NJW 2003, 1527; 2010, 1381 (1382); zustimmend Henssler, in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, Rdnr. 8 und 16.

[20] Vgl. die Kritik von Filges, BRAK-Mitt. 2014, 225; vgl. dazu aber unten im Text unter IV. bei und mit Fn. 92.

[21] Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 13.

[22] Zweifelnd Prütting, AnwBl. 2014, 788 (789); Schafhausen, AnwBl. 2014, 829.

[23] Dazu eingehend Singer, AnwBl. 2010, 79 ff.; Kilian, AnwBl. 2014, 111 ff.

[24] Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes v. 13.12.1934 zur Änderung der RAO v. 1.7.1878 (RGBl. I, S.1258); zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 2 sowie die Begründung des Regierungsentwurfs zum Inkrafttreten der BRAO, BT-Drucks. 3/120, S. 76 f.

[25] Pfeiffer, FS Oppenhoff 1985, 254 (250 f.); Skouris, BB 1975, 1230 (1231); Benckendorff (Fn. 11), § 14, Rdnr. 31.

[26] Vgl. Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 2.

[27] BT-Drucks. 3/120, S. 77.

[28] So ausdrücklich die Begründung des Regierungsentwurfs a.a.O. (Fn. 27).

[29] A.a.O. (Fn. 27).

[30] BGHZ 33, 276 (279); 141, 69 (71).

[31] BGHZ 141, 69 (76).

[32] Vgl. die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses zu § 46 BRAO, BT-Drucks. 12/7656, S. 49.

[33] Urt. v. 14.9.2010 - C-550/07 P, Akzo Nobel, NJW 2010, 3557.

[34] Zustimmend Singer, DStR 2010, 2270; kritisch dagegen Hamacher, AnwBl. 2011, 42; früher schon Seitz, EuZW 2010, 524; Prütting, AnwBl. 2009, 402 f.

[35] Kleine-Cosack, BB 2005, 2309 (2311); ders., AnwBl. 2014, 891 (894).

[36] Kleine-Cosack, a.a.O.

[37] BSG B 5 RE 13/14 R, NJW 2014, 2743 (2744), Rdnr. 5.

[38] BSG B 5 RE 9/14 R, Rdnr. 3; B 5 RE 3/14 R, Rdnr. 4 ("als Rechtsanwalt tätig"). - Zu den verschiedenen Typen der Unternehmensjuristen vgl. Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 12.

[39] Vgl. die Nachweise oben Fn. 5.

[40] Kilian, AnwBl. 2014, 468 (472 f.).

[41] Zutreffend Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 13; BSG, NJW 2014, 2743 (2748), Rdnr. 39.

[42] BGHZ 33, 266 (268); BVerfGE 87, 287 (323). - Dagegen ließ der BFH in einem Urt. v. 9.8.2011 - entgegen der Behauptung von Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891 (896) - ausdrücklich offen, ob der Doppelberufstheorie auch bei Syndikus-Steuerberatern zu folgen ist, vgl. NJW 2012, 479 m. krit. Anm. Posegga; Hund, DStR 2011, 2267; Singer, Beihefter zu DStR 8/2014, 33 ff.; Mann, Beihefter DStR 8/2014, 21 (26 f.).

[43] Vgl. die von der RAK Düsseldorf als Muster empfohlene Freistellungserklärung www.rechtsanwaltskammer-duesseldorf.de/assets/Uploads/Zulassungswesen/Synikusanwlte/Merkblatt-Ausuebung-einer-sonstigen-Taetigkeit.pdf sowie die Empfehlung des DAV www.rechthaber.com/wp-content/uploads/2010/05/merkblatt_syndikusanwälte.pdf.

[44] Kleine-Cosack, AnwBl. 2011, 778 (779); ders., AnwBl. 2014, 891 (894).

[45] Mit Recht kritisch Offermann-Burkhart, AnwBl. 2012, 779 (780).

[46] BGH, NJW 1961, 219; Bissel, Die Rechtsstellung des Syndikusanwalts und die anwaltliche Unabhängigkeit 1996, 45.

[47] BT-Drucks. 3/120, S. 77.

[48] Hellwig, AnwBl. 2008, 644 (647); Singer, BRAK-Mitt. 2012, 145 (149).

[49] Hamacher, AnwBl. 2011, 42 (45).

[50] Kleine-Cosack, BRAO, 5. Aufl. 2008, § 1, Rdnr. 15; ders., AnwBl. 2014, 891.

[51] Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (780).

[52] Vgl. dazu bereits ausführlich Singer, FS Harald Herrmann 2011, 238 ff.; ders., FS Czybulka 2012, 327 ff.; ders., BRAK-Mitt. 2012, 145 ff.

[53] BVerfGE 87, 287 (319 und 330).

[54] Ch. Wolf, in: Gaier/Wolf/Göcken, Bundesrechtsanwaltsordnung, 2010, § 1, Rdnr. 61.

[55] BVerfG, NJW 2007, 979 (980), Rdnr. 63 f.

[56] BGHZ 33, 266 (268 f.); 141, 69 (75 ff.); BT-Drucks. 3/120, S. 77.

[57] Zutreffend Hartung, in: Hartung/Römermann, BerufsO, 4. Aufl. 2008, § 43a BRAO, Rdnr. 6 und 8.

[58] Joachim Wagner, Vorsicht Rechtsanwalt. Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral 2014; vgl. auch Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (780); Prütting, AnwBl. 2013, 78 (83).

[59] Für kritisch hält Heussen bereits Abhängigkeiten von einzelnen Mandanten, die mehr als 5 % der Gesamteinnahmen ausmachen (vgl. Anwalt und Mandant 1999, 100; zustimmend Streck, Beruf: Anwalt Anwältin 2001, 26); mit Recht a.A. Grunewald AnwBl. 2004, 463 (464), die auch eine analoge Anwendung der 25 %-Grenze des § 319 Abs. 2 Nr. 8 HGB ablehnt.

[60] So der im Rahmen der Diskussion gegebene Hinweis von Wieland Horn auf der 10. Jahrestagung des Anwaltsinstituts der Humboldt-Universität am 14.11.2014.

[61] Vgl. Hirschmann, in: ders., Entwicklung, Markt und Moral 1989, 192 (196 ff.); Suchanek, in: Pies/Leschke, Milton Friedmans ökonomischer Liberalismus 2004, 105 (113 ff.); ders., in: Berufsethik der Steuerberater 2007, 10 ff. (mit Bezug auf die ökonomische Ethik der freien Berufe).

[62] Suchanek, 2007 (Fn. 61), 16; vgl. dazu auch Singer, AnwBl. 2009, 393 (399).

[63] A.a.O. (Fn. 58), S. 284. Um die "Schwarze Schafe Theorie" zu widerlegen, genügt die von Wagner ausgebreitete Sammlung von Einzelfällen freilich nicht.

[64] Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (781); Kleine-Cosack, AnwBl. 2012, 947 (948); Kilian, AnwBl. 2014, 468 (470).

[65] Ewer, AnwBl. 2009, 657 (659).

[66] Vgl. die Nachweise oben Fn. 58 und 63.

[67] Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (781); Prütting, AnwBl. 2013, 78 (83).

[68] Eingehend Merkt, NJW 2014, 2311 (2313 ff.).

[69] Pape, Corporate Compliance - Rechtspflichten zur Verhaltenssteuerung von Unternehmensangehörigen in Deutschland und den USA 2011, S. 192 ff.

[70] Prütting, AnwBl. 2009, 402 (403).

[71] EuGH, Urt. v. 14.9.2010 - C-550/07 P, Akzo Nobel, NJW 2010, 2357 m. Anm. Singer, DStR 2010, 2270.

[72] Vgl. den Schlussantrag v. 24.4.2010, BeckRS 2010, 90528, Rdnr. 64 f.

[73] BGHZ 141, 69 (70).

[74] Prütting, AnwBl. 2009, 402 (403); ders., AnwBl. 2013, 78 (82).

[75] Zutreffend Henssler (Fn. 19), § 46, Rdnr. 8.

[76] Zu diesem Aspekt Roxin, NJW 1992, 1129 (1130).

[77] Zutreffend BGH, NJW 2003, 883 (884); vgl. auch BGHZ 166, 299 (304).

[78] BGH, NJW 2003, 2750.

[79] Vgl. Singer, Beihefter DStR 2014, 33 (34).

[80] BSG, NJW 2014, 2743 (2746), Rdnr. 31.

[81] BSG, NJW 2014, 2743 (2748), Rdnr. 39.

[82] Zutreffend Krenzler, BRAK-Mitt. 2014, 130 (131).

[83] Jan Horn, NZS 2014, 245 (246); ders., AnwBl. 2014, 147.

[84] BT-Drucks. 3/120, S. 58.

[85] Rolfs/Marcelli, NZA 2014, 574 (576).

[86] BT-Drucks. 13/2590, S. 18.

[87] Verfassungsrechtliche Bedenken äußert insoweit auch Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891 (897).

[88] Bezani/Klinkhammer, ArbRAktuell 2014, 275 (277); Rolfs/Marcelli, NZA 2014, 574 (579); anders aber Legerlotz/Schmidt, ArbRB 2014, 209 (212).

[89] ) Vgl. dazu Singer, Beihefter zu DStR 8/2014, 33 ff.; Mann, Beihefter DStR 8/2014, 21 (26 f.); teilweise abweichend BFH, NJW 2012, 479; a.A. Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891 (896 f.).

[90] Abrufbar unter www.anwaltverein.de.

[91] Vgl. Huff, Legal Tribune v. 8.10.2014 unter Bezugnahme auf mündliche Äußerungen des Vorsitzenden Richters im 5. Senat des BSG, Berchtold, auf dem Berufsrechtssummit des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen; früher schon Rethorn, AnwBl. 2012, 426; Kilger, AnwBl. 2012, 818; Prütting, AnwBl. 2013, 78 (84); ders., AnwBl. 2014, 788 (790); Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 (786 f.); kritisch aber Kleine-Cosack, AnwBl. 2012, 947 (950).

[92] Vgl. oben im Text unter I.2. mit Nachw. in Fn. 20.

[93] Vgl. die Nachweise oben Fn. 91.

[94] Kleine-Cosack, BB 2005, 2309 (2310); ders., AnwBl. 2012, 947 (950).

[95] Kilian, AnwBl. 2014, 468 (473). - Die von Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891 (896) als Ausweg gewiesene, angeblich "völlig legale" Umgehungsmöglichkeit der BSG-Urteile durch Ausgründung von Rechtsanwaltsgesellschaften begegnet schwersten Bedenken, weil nur scheinbar eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird und daher - illegal - sowohl arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Normen als auch das berufsrechtliche Verbot des Fremdbesitzes umgangen werden.

[96] Zweifelnd Henssler, a.a.O. (Fn. 4).

); kritisch aber Kleine-Cosack, AnwBl. 2012, 947 (950).

[92] Vgl. oben im Text unter I.2. mit Nachw. in Fn. 20.

[93] Vgl. die Nachweise oben Fn. 91.

[94] Kleine-Cosack, BB 2005, 2309 (2310); ders., AnwBl. 2012, 947 (950).

[95] Kilian, AnwBl. 2014, 468 (473). - Die von Kleine-Cosack, AnwBl. 2014, 891 (896) als Ausweg gewiesene, angeblich "völlig legale" Umgehungsmöglichkeit der BSG-Urteile durch Ausgründung von Rechtsanwaltsgesellschaften begegnet schwersten Bedenken, weil nur scheinbar eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird und daher - illegal - sowohl arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Normen als auch das berufsrechtliche Verbot des Fremdbesitzes umgangen werden.

[96] Zweifelnd Henssler, a.a.O. (Fn. 4).