Der Bundestag hat das Gesetz zur Stärkung der Amtsgerichte in Zivilsachen verabschiedet und damit eine deutliche Verschiebung der gerichtlichen Zuständigkeiten beschlossen. Den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung hat der Bundesrat am 21. 11. 2025 gebilligt.
Kern der Reform ist die Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte gemäß § 23 GVG von bisher 5.000 Euro auf 10.000 Euro zum 1.1.2026. Damit fallen künftig deutlich mehr Zivilprozesse in die Zuständigkeit der Amtsgerichte.
Im Gleichschritt wird auch die Grenze des Anwaltszwangs auf 10.000 Euro angehoben. Dass diese Änderung trotz kritischer Stimmen aus der Sachverständigenanhörung ebenfalls beschlossen wurde, stößt auf deutliche Kritik: Die BRAK befürchtet eine Schwächung des effektiven Rechtsschutzes durch die erweiterte Möglichkeit, ohne anwaltliche Vertretung vor Gericht zu treten.
Darüber hinaus sieht das Gesetzespaket eine stärkere Spezialisierung der Justiz vor, indem bestimmte Sachgebiete unabhängig vom Streitwert festen Gerichten zugewiesen werden.
Zudem wurden die Rechtsmittelstreitwerte in der Zivilprozessordnung, im FamFG und in weiteren Gesetzen von derzeit 600 Euro auf 1.000 Euro erhöht, ebenso wie die Wertgrenze für das Verfahren nach billigem Ermessen. Einschneidend ist außerdem die Änderung bei der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof: Sie wird erst ab 25.000 Euro eröffnet und damit deutlich seltener verfügbar sein.
Übergangs- und Sonderregelungen
Ergänzt wird die Reform durch eine Reihe von Übergangs- und Sonderregelungen für bestimmte Sachgebiete, um Verfahrensabbrüche und Rechtsschutzlücken zu vermeiden.
- Übergangsregelung: Die neuen Zuständigkeitsregelungen gelten grundsätzlich nur für Verfahren, die nach dem Inkrafttreten (d.h. nach dem 31.12.2025) anhängig werden. Für alle Verfahren, die bereits vor diesem Stichtag bei Gericht eingegangen sind, bleibt die bisherige Wertgrenze von 5.000 Euro für die Zuständigkeitsbestimmung maßgeblich. Dies schließt unzulässige Verweisungen oder Zuständigkeitswechsel während des laufenden Verfahrens aus.
- Die Anhebung der Rechtsmittelstreitwerte (z. B. von 600 Euro auf 1.000 Euro für die Berufung) folgt demselben Prinzip.
- Übergangsregelung: Die erhöhten Rechtsmittelstreitwerte gelten erst, wenn die Entscheidung (Urteil oder Beschluss), gegen die das Rechtsmittel eingelegt wird, nach dem Inkrafttreten des Gesetzes verkündet wurde oder den Parteien nach dem Stichtag zugestellt wird. Verfahren, in denen das erstinstanzliche Urteil noch unter Geltung der alten Wertgrenzen ergangen ist, sind von der Erhöhung nicht betroffen.
Nach Darstellung der Bundesregierung dient die Reform der Anpassung an inflationsbedingte Wertverschiebungen und einer effizienteren Konzentration der gerichtlichen Ressourcen.
Anhörung: Zustimmung, aber deutliche Kritikpunkte
In der öffentlichen Anhörung am 5.11.2025 äußerten Sachverständige grundsätzlich Zustimmung zum Reformanliegen. Sie begrüßten eine Stärkung der Amtsgerichte und die Vereinheitlichung der Zuständigkeiten. Zugleich wurde aber mehrfach betont, dass der Aufgabenzuwachs nur mit erheblichen zusätzlichen Mitteln, Personal und funktionierender digitaler Infrastruktur zu bewältigen sei.
Die Richterin am OLG München, Prof. Dr. Beate Gsell, stellte zwar die Reformintention nicht in Frage, kritisierte jedoch insbesondere die Anhebung der Werte im Rechtsmittelrecht. Eine Erhöhung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH lehnte sie grundsätzlich ab: Diese stelle im Revisionsrecht einen „systemwidrigen Fremdkörper“ dar und sollte abgeschafft werden. Wertgrenzen im Revisionsverfahren seien strukturfremd, da die Revision der Sicherung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung dien.
Der beim BGH zugelassene Rechtsanwalt Dr. Thomas von Plehwe warnte davor, den Anwaltszwang auf 10.000 Euro anzuheben. Dies könne zu Lasten der Qualität der erstinstanzlichen Verfahren wie auch der Verbraucherinnen und Verbraucher gehen.
BRAK: Sorge um den Rechtsschutz
Die BRAK warnt vor Rechtsschutzdefiziten, insbesondere in Streitigkeiten mit hohem rechtlichem, aber geringem wirtschaftlichem Gewicht, vor allem im Familien-, Verbraucher- oder Auskunftsrecht
Auch die Anhebung der Nichtzulassungsbeschwerde auf 25.000 kritisiert die BRAK und hält den Hinweis auf drohende Überlastung des BGH angesichts rückläufiger Eingangszahlen für nicht überzeugend. Die zusätzliche Zugangshürde zur revisionsgerichtlichen Kontrolle sei rechtspolitisch und rechtsstaatlich problematisch – eine Position, die durch die systematische Kritik von Prof. Gsell in der Anhörung zusätzlich gestützt wird.
Weiterführende Links:
Öffentliche Anhörung zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwertes v. 5.11.2025
Pressemitteilung des BMJV Nr. 64/2025 v. 22.10. 2025
Formulierungshilfe
Nachrichten aus Berlin 15/2025 v. 24.07.2025
Stellungnahme Nr. 37/2025
Stellungnahme Nr. 25/2025
Referentenentwurf
Nachrichten aus Berlin 13/2025 v. 26.6.2025 (zum Referentenentwurf)
Stellungnahme Nr. 26/2024 (zum Referentenentwurf der 20. Legislaturperiode)