Die Präsidentinnen und Präsidenten der 28 Rechtsanwaltskammern kamen am 20.9.2024 in Chemnitz zu ihrer halbjährlichen Hauptversammlung zusammen. Neben einer Erweiterung der Zuständigkeiten der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft standen einige brisante und kontroverse rechtspolitische Themen auf der Tagesordnung.

Zu Beginn der Sitzung berichtete BRAK-Präsident Dr. Ulrich Wessels aus einer Arbeitsgruppe der BRAK, die sich mit der Entwicklung und Struktur der Anwaltschaft befasst. Diese sieht die aktuelle Entwicklung, dass sich immer weniger Anwältinnen und Anwälte in der Fläche niederlassen und immer weniger den Schritt in die Selbstständigkeit gehen, mittelfristig als Problem für den Rechtsstaat und die Anwaltschaft als freien Beruf. Man arbeitet daran, Gründe zu erforschen und Gegenstrategien zu entwickeln.

Singularzulassung

Kontrovers war die folgende Debatte um die Singularzulassung beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen. Insbesondere das Auswahlverfahren für diese Zulassung steht seit Längerem in der Kritik. Im Jahr 2019 hatte die BRAK-Hauptversammlung daher beschlossen, sich beim Bundesjustizministerium für eine Änderung des Zulassungs- und Auswahlverfahrens einzusetzen; das Ministerium griff dies jedoch damals nicht auf. Die Rechtsanwaltskammer Berlin stellte nunmehr den Antrag, dass die BRAK sich für eine revisionsrechtliche Fachanwaltschaft anstelle der Singularzulassung einsetzen solle.

Nach ausführlicher Diskussion entfielen in der Abstimmung 48 Stimmen auf den Berliner Antrag, 46 dagegen und 9 enthielten sich. Die Zahl der Stimmen ist Folge der im Jahr 2022 eingeführten Regelung in § 190 I 1 BRAO, nach der die Stimmen der Kammern abhängig von ihrer Mitgliederzahl unterschiedlich gewichtet werden. Insgesamt 16 Kammern stimmten gegen den Antrag; damit wurde die Sperrminorität von 17 Kammern (§ 190 III 2 BRAO) knapp verfehlt.

Im Nachgang zur Hauptversammlung stellte sich heraus, dass bei der Konfiguration des elektronischen Wahlsystems ein Fehler unterlaufen war. Versehentlich waren die Mitgliederzahlen einschließlich der Berufsausübungsgesellschaften zugrunde gelegt worden, die eigentlich nach § 190 I 2 BRAO für die Stimmgewichtung nicht zu berücksichtigen sind. Dieser Fehler wirkte sich nur bei den Rechtsanwaltskammern Frankfurt am Main und Berlin aus, denen dadurch jeweils ein zu hohes Stimmgewicht (8 statt 7 bzw. 9 statt 8) zukam.

Weil elektronische Abstimmungen nach der Satzung der BRAK nicht namentlich erfolgen, ist nicht feststellbar, welche Kammern wie abgestimmt haben. Unterstellt, dass beide betroffenen Kammern für den Berliner Antrag gestimmt hätten, wäre dieser bei korrekter Stimmgewichtung nicht angenommen worden; der Fehler war also entscheidungserheblich. Ein fehlerfreier Beschluss kann nach Auffassung des BRAK-Präsidiums lediglich durch eine erneute Abstimmung erreicht werden; denn eine Korrekturmöglichkeit ist gesetzlich nicht vorgesehen. Das Präsidium der BRAK hat die Rechtsanwaltskammern bereits entsprechend informiert; die Entscheidung über das weitere Vorgehen obliegt der Hauptversammlung.

Schlichtungsstelle

Die Hauptversammlung beschloss ferner einstimmig, die Satzung der Schlichtungsstelle künftig geschlechtergerecht zu fassen sowie den Zuständigkeitsbereich der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft zu erweitern. Bislang kann die Schlichtungsstelle bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten aus Mandatsverhältnissen über Honorar- und/oder Schadensersatzforderungen bis zu einem Streitwert von 50.000 Euro vermitteln. Diese Streitwertgrenze wurde nun gestrichen. Ab dem 1.1.2025 kann die Schlichtungsstelle daher unabhängig von der Höhe des Streitwerts angerufen werden.

Zivilprozess in Bewegung

Thema waren ferner die verschiedenen aktuellen Gesetzgebungsverfahren im Bereich des Zivilprozesses, darunter das Online-Verfahren für geringfügige Streitwerte und die Überlegungen zu Massenverfahren und zur Strukturierung von Parteivortrag. BRAK-Vizepräsidentin Sabine Fuhrmann und BRAK-Vizepräsident Dr. Christian Lemke berichteten zudem von den Arbeiten der vom Bundesministerium der Justiz eingesetzten Reformkommission zum „Zivilprozess der Zukunft“, in der beide mitwirken. Die Kommission untersucht eine Reihe möglicher Reformansätze für das Zivilprozessrecht, beispielsweise die Einführung eines automatisierten Vorentscheidungsverfahrens als eine Art „nullte Instanz“, digitaler Verfahrenslotsen für Bürgerinnen und Bürger sowie eines beschleunigten Online-Verfahrens.

Geldwäscheprävention und Sammelanderkonten

Auch mit den Entwicklungen im Bereich Geldwäscheprävention befasste sich die Hauptversammlung eingehend. BRAK-Schatzmeisterin Leonora Holling erläuterte die Umrisse des kürzlich verabschiedeten EU-Geldwäschepakets und der neu zu schaffenden europäischen Anti-Geldwäsche-Behörde (AMLA).

Noch nicht vom Tisch ist auch die Einführung einer anlasslosen Kontrolle anwaltlicher Sammelanderkonten durch die Rechtsanwaltskammern. Zwar wurde die geplante Regelung nach Protesten der BRAK aus einem aktuellen Gesetzentwurf gestrichen. Doch ein Nichtanwendungserlass des Bundesfinanzministeriums, der Sammelanderkonten derzeit schützt, läuft demnächst aus, daher besteht weiterhin Handlungsbedarf. Die BRAK ist weiterhin im Gespräch mit Ministerien und Bundestag, um eine für die Anwaltschaft tragbare Lösung zu erreichen.

Weitere Themen

Außerdem befasste die Hauptversammlung sich mit einer Reihe weiterer für die Anwaltschaft bedeutsamer Themen, insbesondere den schleppenden Entwicklungen beim geplanten Kostenrechtsänderungsgesetz 2025, dem beim EuGH anhängigen Vorlageverfahren zum sog. Fremdbesitzverbot im anwaltlichen Gesellschaftsrecht sowie aktuellen Entwicklungen und Plänen im elektronischer Rechtsverkehr und beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach.