Mit Beschluss vom 20.4.2023 hat der Bayerische Anwaltsgerichtshof (AGH) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Vorabentscheidung unterbreitet, ob das nach alter Rechtslage in der BRAO verankerte Regelungsgefüge zum Fremdbesitzverbot gegen Unionsrecht verstößt.

Auf die mündliche Verhandlung vom 30.4.2024 hin hat nun der Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona seine Schlussanträge vorgelegt: Eine am Maßstab der Niederlassungsfreiheit, konkret des Art. 15 der Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt, durchgeführte Rechtfertigungsprüfung des Generalanwalts ergab, dass die Gründe, auf denen die Bestimmungen zum Fremdbesitzverbot der BRAO fußen, als zwingende Gründe des Allgemeininteresses angesehen werden können. Hierzu führte der Generalanwalt entgegen der Auffassung der Europäischen Kommission aus, dass die Apotheker-Entscheidung des EuGH in den verbundenen Rechtssachen C-71/07 und C-172/07 gleichermaßen auf die Anwaltschaft anwendbar ist. Auch der Rechtsanwalt verfolge zwar das Ziel, Gewinne zu erwirtschaften, jedoch sei dieses durch seine Ausbildung, seine berufliche Erfahrung und die ihm obliegende Verantwortung gezügelt, da ein etwaiger Verstoß nicht nur eine Investition, sondern seine berufliche Existenz tangiere.

Der Generalanwalt ruft zudem in Erinnerung, dass der Anwaltschaft in einer demokratischen Gesellschaft eine grundlegende Aufgabe zukommt: die Verteidigung der Rechtsunterworfenen. Dies setzt die unabhängige Rechtsberatung und die damit zusammenhängende Loyalität des Rechtsanwalts seinem Mandanten gegenüber zwingend voraus. Das Fremdbesitzverbot ist nach Ansicht des Generalanwalts bereits vor diesem Hintergrund sinnvoll. Daraus folge auch, dass es für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unerlässlich sei, Interessenkonflikte zu vermeiden und die Anwaltschaft in ihrer Unabhängigkeit auch gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern und Dritten sicherzustellen – hier darf auch nach Ansicht des Generalanwalts keine Einflussnahme bestehen. Dieser zu wahrenden Unabhängigkeit stehe es nicht entgegen, wenn sich Angehörige vergleichbarer Berufe als Minderheitsgesellschafter an Rechtsanwaltsgesellschaften beteiligen würden – diese sollten jedoch gleichfalls einer disziplinarischen Aufsicht einer Kammer unterliegen, welche sicherstellt, dass die Berufsausübung ordnungsgemäß und entsprechend berufsrechtlicher Vorschriften erfolgt.

Die Beschränkung der Beteiligung an einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf den Kreis der Rechtsanwälte ist nach Auffassung des Generalanwalts geeignet, zum einen die berufliche Unabhängigkeit der Anwaltschaft und zum anderen den Schutz der Rechtssuchenden zu gewährleisten – sie erfolge im Regelungsgefüge der BRAO (a.F.) jedoch nicht kohärent. Dementsprechend stünden der Empfehlung des Generalanwalts entsprechend solche Regelungen dem Unionsrecht entgegen, die einerseits bestimmten Gruppen erlauben, sich an einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu beteiligen, andererseits Angehörige anderer Berufsgruppen, die objektiv dieselben Kriterien erfüllen könnten, hiervon ausschließen. Auch könne das Erfordernis, dass Rechtsanwälte in der Rechtsanwaltsgesellschaft aktiv beruflich tätig sein müssen, um sich an einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu beteiligen, nicht ohne nähere Konkretisierung vorgeschrieben werden.

Der Generalanwalt empfiehlt dem EuGH zugleich die Antwort an den Bayerischen AGH, dass Regelungen, nach denen Nicht-Anwälte einen Prozentsatz des Kapitals und der Stimmrechte halten, der einen unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf die Unabhängigkeit der Anwälte begründet, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

In der Sache muss nunmehr der EuGH über die Vorlagefragen entscheiden und sodann auf der Basis von dessen Entscheidung der Bayerische AGH über den Ausgangsrechtsstreit.


Weiterführende Links:
Schlussanträge des Generalanwalts
Bericht aus der mündlichen Verhandlung v. 30.4.2024
Bayerischer AGH, Beschl. v. 20.4.2023 – BayAGH III-4-20/21, BRAK-Mitt. 2023, 185