Mit dem Ende Oktober vorgelegten Referentenentwurf für ein Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz will das Bundesjustizministerium die bereits begonnene Digitalisierung in allen Verfahrensordnungen weiter ausbauen. Dazu soll vor allem der rechtliche Rahmen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung, aber auch in weiteren Bereichen angepasst werden.

Im Strafverfahrensrecht sollen Erleichterungen bei der Strafantragstellung und weiteren derzeit bestehenden Schriftformerfordernissen geschaffen werden. Außerdem sollen Verfahrensbeteiligte künftig auch per Videokonferenz an Revisionshauptverhandlungen teilnehmen können. Auch im Insolvenzrecht will das Ministerium die Digitalisierung vorantreiben. Insbesondere sollen künftig Forderungen elektronisch zur Tabelle angemeldet werden können und die elektronische Kommunikation mit Insolvenzgläubigern soll ermöglicht werden.

Wesentliche Teile des Referentenentwurfs betreffen den elektronischen Rechtsverkehr. Insofern werden Themen aufgegriffen, die die BRAK bereits seit einigen Jahren in den Gremien des EDV-Gerichtstages und der Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz (BLK) diskutiert.

Der Referentenentwurf sieht in allen Verfahrensordnungen eine Hybridaktenführung einerseits für geheimhaltungsbedürftige Aktenbestandteile und andererseits für vor der verpflichtenden Einführung der elektronischen Aktenführung in Papier begonnene Akten sowie während der Pilotierungsphase für elektronisch begonnene Akten vor. Die Hybridaktenführung war in der BLK-Arbeitsgemeinschaft ERV mit den Justizministerien der Länder intensiv diskutiert worden. Für geheimhaltungsbedürftige Aktenbestandteile wurde festgestellt, dass derzeit technisch noch nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand gewährleistet werden könne, den jeweiligen Geheimhaltungsgrad einzuhalten. Vorgeschlagen wird daher eine Verlängerung der Übergangsfrist bis zum 31.12.2035, also um zehn Jahre, vor. In dieser Zeit sollen mit den Geheimhaltungsgraden „streng geheim“, „geheim“ und „VS-vertraulich“ eingestufte Verschlusssachen weiter in Papierform übermittelt und zur Akte gegeben werden können.

Der Referentenentwurf sieht weiter eine Ausnahme von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von umfangreichen Strafakten vor. Grundsätzlich müssen nach den Aktenübermittlungsverordnungen elektronische Akten zwischen Behörden und Gerichten über die Kommunikationsmittel des elektronischen Rechtsverkehrs ausgetauscht werden. Falls das aufgrund der mengenmäßigen Limitierungen des elektronischen Rechtsverkehrs nicht möglich ist, soll die Übermittlung auf einem physischen Datenträger ermöglicht werden. Diesen Vorschlag sieht die BRAK ebenso wie die von der Justiz vorgegebenen Mengenbeschränkungen kritisch, zumal das Problem auch durch andere technische Lösungen, etwa eine Justizcloud oder ein Aktenübermittlungsportal (angelehnt an das bereits bestehende Akteneinsichtsportal) gelöst werden könnte. Sie wird sich dazu noch in einer Stellungnahme äußern.

Der Referentenentwurf will es darüber hinaus Privatpersonen als Naturalbeteiligten oder Dritten erleichtern, die prozessuale Schriftform auch ohne den Einsatz einer qualifizierten elektronischen Signatur zu wahren. Häufig müssen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, für die nach den Verfahrensordnungen der elektronische Rechtsverkehr verpflichtend gilt, Anträge oder Erklärungen ihrer Mandantinnen und Mandanten übermitteln. Da Privatpersonen in der Regel nicht über eine qualifizierte elektronische Signatur verfügen, müssen sie diese Erklärungen derzeit noch in Papierform übermitteln. Künftig sollen bestimmte Verfahrensbeteiligte, z.B. Anwältinnen und Anwälte, die von diesen Personen in Papierform unterzeichneten Anträge oder Erklärungen als Scan elektronisch übermitteln und dadurch die Schriftform wahren können. Damit sollen Medienbrüche reduziert werden.

Neu ist außerdem eine Formfiktion für materiellrechtliche Willenserklärungen, die in elektronisch übermittelten Schriftsätzen enthalten sind. Für diese gelten die prozessualen Formerleichterungen des elektronischen Rechtsverkehrs bislang nicht, weshalb z.B. eine Kündigung nicht wirksam im Rahmen eines gerichtlichen Schriftsatzes ausgesprochen werden kann. Empfangsbedürftige Willenserklärungen, die der gesetzlich oder rechtsgeschäftlich bestimmten materiell-rechtlichen Schriftform oder elektronischen Form bedürfen, sollen künftig als zugegangen gelten, wenn sie in einem Schriftsatz als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht und dem Empfänger zugestellt oder formlos mitgeteilt werden.

Schließlich soll die Kommunikation von Unternehmen mit der Justiz erleichtert werden. Dazu soll das Organisations-Konto des Unternehmens nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG) an das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach angebunden werden. Als Voraussetzung dafür soll die beim OZG-Organisationskonto eingesetzte Identifizierung per ELSTER auch als Identifizierungsmöglichkeit im elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz zugelassen werden.

Ebenfalls in dem Gesetzentwurf enthalten ist eine Vereinfachung für anwaltliche Honorarabrechnungen: Das dafür derzeit geltende Schriftformerfordernis soll entfallen. Dadurch sollen Anwältinnen und Anwälte ihre Rechnungen künftig ohne Medienbrüche elektronisch erstellen und übermitteln können. Dies entspricht einer gemeinsamen Forderung von DAV und BRAK.

Die BRAK wird sich mit dem Gesetzentwurf im Detail auseinandersetzen.

Weiterführende Links:
Referentenentwurf
Synopse zum Referentenentwurf
Gemeinsame Stellungnahme von BRAK und DAV (Stellungnahme Nr. 51/2023)
Nachrichten aus Berlin 20/2023 v. 4.10.2023 (zur Anwaltsvergütung)