Dem Europäischen Gerichtshof liegt ein Vorabentscheidungsverfahren vor, mit dem das berufsrechtliche Verbot auf den Prüfstand gestellt wird, dass sich nicht-anwaltliche Gesellschafter an Anwaltsgesellschaften beteiligen können. Auf Anfrage des Bundesjustizministeriums hat die BRAK zu dem Verfahren Stellung genommen. Sie legt dar, weshalb das Verbot zur Wahrung der anwaltlichen Unabhängigkeit unabdingbar ist.


Der Bayerische Anwaltsgerichtshof (BayAGH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob das sog. Fremdbesitzverbot im anwaltlichen Berufsrecht gegen Europarecht verstößt. Den Anlass für das Verfahren hatte eine Rechtsanwaltsgesellschaft gegeben, an der eine österreichische nicht-anwaltliche Gesellschaft Anteile erworben hatte. Die zuständige Rechtsanwaltskammer hatte der Rechtsanwaltsgesellschaft daraufhin die Zulassung entzogen, weil das damals geltende anwaltliche Berufsrecht (§ 59e BRAO a.F.) keine nicht-anwaltlichen Gesellschafter nicht zuließ. Er sah vielmehr vor, dass nur Rechtsanwälte und Angehörige sozietätsfähiger Berufe i.S.v. § 59a BRAO a.F. Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein dürfen, die in der Gesellschaft beruflich tätig sind (Abs. 1); es regelt außerdem, dass Gesellschaftsanteile nicht für Rechnung Dritter gehalten und Dritte nicht am Gewinn der Rechtsanwaltsgesellschaft beteiligt werden dürfen (Abs. 3).

Gegen den Widerruf der Zulassung klagte die Rechtsanwaltsgesellschaft. Der BayAGH hielt fest, dass nach dem geltenden deutschen Recht der Klägerin zwingend die Zulassung zu entziehen war. Er äußerte jedoch Zweifel, ob § 59e BRAO a.F. unter anderem mit der Kapitalverkehrs-, der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die das Fremdbesitzverbot nach §§ 59a, 59e BRAO a.F. betreffen.

Auf Anfrage des Bundesministeriums der Justiz hat die BRAK zu dem Vorlageverfahren Stellung genommen. Darin legt sie im Einzelnen dar, weshalb das Regelungsgefüge der §§ 59e, 59a BRAO a.F. sowohl geeignet und erforderlich sind, um eine sichere und qualitativ hochwertige rechtliche Beratung und Vertretung der Bevölkerung – und damit eine funktionierende Rechtspflege – zu gewährleisten, sondern durch die Gleichbehandlung von natürlichen Personen und Gesellschaften auch ein kohärentes Regelungssystem darstellen. Aus Sicht der BRAK ist daher eine unionskonforme Verteidigung des in §§ 59e, 59a BRAO a.F. zum Ausdruck kommenden Fremdbesitzverbots vor dem EuGH nicht nur erfolgversprechend, sondern auch zwingend geboten.

Das Vorlageverfahren betrifft die vor der sog. großen BRAO-Reform im Jahr 2021 geltende Rechtslage. Durch die Reform wurde der Kreis der sozietätsfähigen Berufe auf alle Angehörigen freier Berufe erweitert. Auch nach dem geltenden Recht ist das Fremdbesitzverbot nach Ansicht der BRAK weiterhin erforderlich. Denn die freien Berufe verbindet das gemeinsame Strukturprinzip der Unabhängigkeit. Diese würde gefährdet, wenn anwaltliche Beratung in Verbindung mit einer rein gewerblichen Tätigkeit erfolgen würde.

Die Stellungnahme der BRAK wird in die von der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem EuGH abzugebende Stellungnahme einfließen. Die BRAK wird das weitere Verfahren aufmerksam beobachten und begleiten.

Weiterführende Links:

Stellungnahme Nr. 41/2023

Bayerischer AGH, Urt. v. 20.4.2023 – BayAGH III – 4 – 20/21

Nachrichten aus Berlin 9/2023 v. 3.5.2023