Schließt ein Rechtsanwalt einen Vertrag im Rahmen der Mandatsausübung ab und verknüpft dabei seine anwaltliche Tätigkeit mit eigenem wirtschaftlichen Interesse oder den Interessen Dritter, so ist dieser Vertrag unter Verstoß gegen das anwaltliche Berufsrecht und die guten Sitten nichtig. Dabei kann auch dann ein Anwaltsvertrag vorliegen, wenn er anwaltsfremde Maßnahmen umfasst. Das hat das Landgericht Berlin in einem jüngst veröffentlichten Urteil entschieden.
Anlass für die Entscheidung des Landgerichts gab der folgende Sachverhalt: Im Jahr 1992 erteilte die zwischenzeitlich verstorbene Klägerin dem Beklagten zu 1., einem Rechtsanwalt, eine Anwaltsvollmacht zur Prozessführung und Verwaltung eines Wohn- und Geschäftshauses. Der Anwalt schloss bzw. kündigte Mietverträge im Namen der Klägerin; u.a. schloss er zwei Gewerberaummietverträge mit seiner Ehefrau, der Beklagten zu 2., und verlängerte den Gewerberaummietvertrag mit einem Ehepaar. Für die Verlängerung dieses Mietvertrags und das Absehen von Mieterhöhungen soll der Anwalt nach der Behauptung des Klägers von dem Ehepaar Schmiergeld in Höhe von insgesamt 14.500 Euro erhalten haben.
Die Klägerin hielt die Mietverträge mit der Beklagten zu 2 für sittenwidrig und beantragte beim Landgericht die Feststellung, dass diese nichtig seien und dass dem Beklagten keinerlei Honorar für deren Abschluss zustehe. Zudem begehrte sie die Auskehrung des erhaltenen Schmiergelds. Nach dem Tod der Klägerin im Jahr 2020 nahm ihr Sohn das Verfahren auf.
Das Gericht gab der Zahlungsklage statt und stellte fest, dass die Mietverträge zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2. sittenwidrig und damit nichtig seien. Der Beklagte zu 1. habe in fundamentaler Weise die anwaltliche Unabhängigkeit verletzt, indem er einen Mietvertrag mit seiner Ehefrau, der Beklagten zu 2., im Namen der Klägerin abschloss und sich damit bei der Mandatsausübung von eigenen wirtschaftlichen Interessen leiten ließ. Dabei komme es nicht auf die tatsächliche Ziehung von Nutzungen durch den Rechtsanwalt bzw. seine Ehefrau an, sondern auf eine drohende Gefahr, dass der Beklagte zu 1. als Rechtsanwalt die Interessen seiner Ehefrau den Interessen seiner Mandantin vorzieht. Dadurch sieht das Gericht die Interessen der Rechtspflege und das Vertrauen des rechtsuchenden Publikums in die Kompetenz und Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft in einer Weise gefährdet, dass sich daraus das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit ergibt.
Das Gericht nahm an, dass der Rechtsanwalt und die verstorbene Klägerin einen Anwaltsvertrag geschlossen hatten. Ein Anwaltsvertrag mit der Pflicht, dem Auftraggeber rechtlichen Beistand zu leisten (§ 3 BRAO) liege selbst dann vor, wenn der Vertrag anwaltsfremde Pflichten – wie hier die Verwaltung des Mietobjekts – enthält, solange diese einen engen inneren Zusammenhang zu der rechtlichen Beistandspflicht haben. Anders sei es dann, wenn die Rechtsbetreuung völlig in den Hintergrund tritt. Die zahlreichen Anwaltsvollmachten, die die verstorbene Klägerin dem Beklagten zu 1. erteilt hatte, sprächen eindeutig für das Vorliegen eines Anwaltsvertrags, so das LG.
Damit unterlag der Beklagte zu 1. dem anwaltlichen Berufsrecht bei seinen Handlungen im Verhältnis zu der Klägerin, sodass die Mietverträge zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2., die unter Verstoß gegen das anwaltliche Berufsrecht und die guten Sitten geschlossen wurden, nichtig sind. Ein Vergütungsanspruch für den sittenwidrigen Abschluss der Mietverträge steht dem Beklagten hierfür nicht zu.
Das Landgericht sah als erwiesen an, dass der Rechtsanwalt Schmiergelder entgegengenommen hatte, damit er den Mietvertrag des Ehepaars ohne Mieterhöhung verlängerte. Es ging ferner davon aus, dass der verstorbenen Klägerin dadurch ein Schaden entstanden war, weil sie ansonsten höhere Miete vereinnahmt hätte. Die als Schmiergeld vereinnahmten Zahlungen seien daher als Schadensersatz an den Kläger auszukehren.
Weiterführender Link:
- LG Berlin, Urt. v. 8.8.2022 – 83 O 9/22, BeckRS 2022, 19557