In ihrer Sitzung am 29. und 30.4.2022 hat die Satzungsversammlung beschlossen, BORA und FAO zu modernisieren und diskriminierungsfrei zu formulieren. Auf ihrer Agenda standen außerdem Anderkonten, die neue Fortbildungspflicht im Berufsrecht und die umstrittene Fachanwaltschaft für Opferrechte.
Der kontroverseste Tagesordnungspunkt war die vom zuständigen Ausschuss 1 – Fachanwaltschaften beantragte Einführung einer neuen Fachanwaltschaft für Opferrechte. Bereits im Jahr 2018 lag der Satzungsversammlung ein entsprechender Antrag vor; er erhielt damals zwar die Mehrheit der Stimmen, verfehlte jedoch die notwendige satzungsändernde Mehrheit knapp. Über das Für und Wider einer Fachanwaltschaft für Opferrechte wurde auch jetzt intensiv diskutiert; dabei ging es um so verschiedene Aspekte wie das Anbieten einer einheitlichen Anlaufstelle für Betroffene, die Frage, ob eine zahlenmäßig kleine Fachanwaltschaft am Markt bestehen könne, den Begriff „Opfer“ oder berufliche Perspektiven für Anwältinnen und Anwälte in diesem Bereich. Der Antrag wurde zwar mehrheitlich befürwortet, verfehlte aber erneut das für eine Satzungsänderung erforderliche Quorum. Es liegt nun beim Gesetzgeber, auf der Ebene der BRAO eine Fachanwaltschaft für Opferrechte einzuführen, sofern dies politisch gewollt ist.
Mit klarer Mehrheit angenommen wurde ein neuer § 5a BORA. Die vom zuständigen Ausschuss 5 – Aus- und Fortbildung erarbeitete Regelung konkretisiert die mit der großen BRAO-Reform zum 1.8.2022 eingeführte Pflicht, innerhalb des ersten Jahres ab der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Kenntnisse im Berufsrecht nachzuweisen (§ 43f BRAO n.F.). § 5a BORA-E sieht vor, dass die Organisation des Berufs und der Selbstverwaltung sowie berufsrechtliche Sanktionen, die allgemeinen und besonderen Berufspflichten und berufsrechtliche Bezüge zum Haftungsrecht in den entsprechenden Lehrveranstaltungen behandelt werden müssen.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Welle bankseitiger Kündigungen von Sammelanderkonten steht ein gemeinsamer Antrag der Ausschüsse 2 (Allgemeine Berufs- und Grundpflichten und Werbung) und 3 (Geld, Vermögensinteressen, Honorar). § 4 I BORA, wonach der Anwalt ein Anderkonto einzurichten hat, soll gestrichen werden. Die Regelung sorgte bislang für Unklarheiten: In der Literatur wird die Vorschrift überwiegend als Pflicht verstanden, ein Sammelanderkonto „auf Vorrat“ zu führen. § 43a V BRAO lässt Anwältinnen und Anwälten jedoch die Wahl, Fremdgelder entweder unverzüglich an die berechtigte Person weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen. Der Antrag auf Streichung von § 4 I BORA wurde einstimmig, ohne Gegenstimmen oder Enthaltungen, angenommen.
Die Satzungsversammlung schuf außerdem einen neuen Ausschuss mit der Aufgabe, die BORA und die FAO zu modernisieren. Seine Hauptaufgabe ist, die Regelungen geschlechtergerecht zu formulieren und redaktionelle Anpassungen einzuarbeiten. Ein Unterausschuss soll sich darum kümmern, die aus der großen BRAO-Reform folgenden Änderungen im Recht der Berufsausübungsgesellschaften zu integrieren. Mit der Einrichtung des neuen Ausschusses 8 hat sich der Antrag einer Anwältin erledigt, die BORA zu „gendern“; ihr wurde, gemeinsam mit einem Kollegen, der Vorsitz des Ausschusses übertragen. Entwürfe für modernisierte Fassungen von BORA und FAO soll der Ausschuss bis zur nächsten Sitzung der Satzungsversammlung am 5.12.2022 erarbeiten.
Zusätzlich beschloss die Satzungsversammlung einige redaktionelle Änderungen im Text der BORA und ergänzte ihre Geschäftsordnung u.a. um Regelungen für virtuelle Sitzungen.
Die Ausschüsse berichteten ferner aus ihrer Arbeit und gaben Ausblicke auf anstehende Themen. Hierzu zählen etwa eine Modernisierung der in § 24 BORA geregelten Meldepflichten gegenüber den Rechtsanwaltskammern oder die Ausgestaltung der ab dem 1.8.2022 geltenden Pflicht von Berufsausübungsgesellschaften nach § 59e II BRAO, sicherzustellen, dass berufsrechtliche Verstöße frühzeitig erkannt und abgestellt werden. Auch mit der Ausgestaltung der Bürogemeinschaft nach dem neuen § 59q BRAO wird die Satzungsversammlung sich befassen, ebenso mit der Frage, wie Anwältinnen und Anwälte im elektronischen Rechtsverkehr untereinander kommunizieren; denn anders als gegenüber der Justiz gilt innerhalb der Anwaltschaft keine aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs.
Die Beschlüsse der Satzungsversammlung müssen nun zunächst vom Bundesministerium der Justiz geprüft werden. Werden sie von dort nicht beanstandet, treten die Beschlüsse mit dem ersten Tag des dritten Monats in Kraft, der auf die Veröffentlichung auf der Website der BRAK folgt.
Weiterführende Links:
- Tagesordnung der 3. Sitzung der 7. Satzungsversammlung
- Anträge zur 3. Sitzung der 7. Satzungsversammlung
- Beschlüsse der 3. Sitzung der 7. Satzungsversammlung
- Informationen über die Satzungsversammlung
- Zur Streichung von § 4 I BORA (BRAK-Meldung v. 30.4.2022)
- Paul, BRAK-Magazin 2/2022, 3 - Editorial (zur Kündigung von Sammelanderkonten)