Büroorganisation Rechtsanwälte - Ein Spiegel beruflicher Pflichten
von Rechtsanwalt Michael Salamon - Gelsenkirchen
Inhalt
- Allgemeines
- Originäre anwaltliche Tätigkeit / Arbeiten im nichtanwaltlichen Bereich
- Einzelne Arbeitsabläufe und ihre berufsrechtlichen Grundlagen
- Zusammenfassung
- Literatur Tipps
A. Allgemeines
Büroorganisation in der Rechtsanwaltskanzlei bedeutet, für alle Arbeitsabläufe von der Mandatsannahme (Aktenanlage) bis zur Mandatsbeendigung (ggf. Zwangsvollstreckung) einen Rahmen, eine verbindliche Ordnung vorzugeben und deren Einhaltung zu überwachen. Dabei sind innerhalb einer Kanzlei alle Berufsträger und Mitarbeiter und alle anfallenden Arbeiten miteinander zu koordinieren und aufeinander abzustimmen.
Allen Kanzleiangehörigen sollte klar sein, wer welche Arbeiten wann und wie erledigt, wer wen vertritt und wer welche Kontrollen durchführt. Dazu ist – unabhängig von der Kanzleigröße – z.B. ein Organigramm hilfreich, aus dem sich die personellen und sachlichen Zuständigkeiten ergeben. Ein Organigramm ist eine (grafische) Darstellung der organisatorischen Einheiten innerhalb der Kanzlei. Aus ihr ergeben sich die Aufgabenverteilung und Zuständigkeiten der Berufsträger, Fachangestellten und Auszubildenden[1]. Auch Arbeitsanweisungen[2] sind ein probates Mittel, um allen Berufsträgern und Mitarbeitern deutlich zu machen, wer wofür zuständig ist und wie und wann die jeweilige Aufgabe zu erledigen ist. Arbeitsanweisungen dienen der kanzleiinternen Verfahrensoptimierung und damit der Fehlervermeidung.
Das Problem der Büroorganisation in Rechtsanwaltskanzleien dürfte in erster Linie darin bestehen, dass es bislang – anders als in gewerblichen Unternehmen – keine „geschriebenen“ (Muster-) Strukturen gibt. Erst recht gibt es keine allgemeingültigen betriebswirtschaftlichen Untersuchungen, denen zumindest „ein roter Faden“ zu der Thematik Büroorganisation Rechtsanwälte zu entnehmen wäre[3]. Regelmäßig beruht die jeweilige Büroorganisation auf jahrelangem Einüben von Arbeitsabläufen und ist nur im Kopf des jeweiligen Berufsträgers (und dessen) Mitarbeiter abgebildet[4]. Das war und ist sicherlich auch eine Ursache dafür, dass sog. Rechtsanwaltsprogramme nicht in dem Maße unter den Berufsträgern Verbreitung fanden, wie es sich die Hersteller erhofft hatten. Als vor ca. 20 Jahren die ersten Anwaltsprogramme angeboten wurden, zeigte sich bei den Programmabläufen, z.B. bei der Verknüpfung von Aktenanlage, Aktenbearbeitung und buchhalterischen Tätigkeiten, wie der Rechtsanwalt „tickte“, der sich die Programmabläufe ausgedacht hatte. Diese individuelle Sicht der Mandatsbearbeitung stieß nur bei einem überschaubaren Kreis von Anwälten auf (Kauf-) Interesse[5]. Diesbezüglich hat sich bis heute vieles weiterentwickelt und verbessert. Andererseits kommt weiterhin ein Großteil der Kanzleien ohne spezielle Anwaltssoftware aus. Je nach Kanzleizuschnitt, Größe und Bedarf wird stattdessen z.B. mit Steuerberater-Software oder mit eigens entwickelter Individual-Software gearbeitet. In Heidelberg gibt es z.B. eine Anwaltskanzlei, die das Forderungsmanagement für ein großes deutsches Telekommunikationsunternehmen betreibt. Der Inhaber dieser Kanzlei hat nach eigenen Angaben eine spezielle Software entwickeln lassen müssen, um die riesige Anzahl von Mahnverfahren mit einer Vielzahl von Mitarbeitern sachgerecht bearbeiten zu können. 
Bei aller Gestaltungsvielfalt und Unterschiedlichkeit im Detail orientiert sich letztlich jeder Rechtsanwalt bei der Büroorganisation entlang desselben berufsrechtlichen Pflichtenkanons: §§ 43, 43a, 48 – 49a, 49b, 50 BRAO und § 5 BORA. Danach ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die für seine Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen vorzuhalten. Er ist zur Verschwiegenheit verpflichtet, darf keine widerstreitenden Interessen vertreten, Fremdgelder sind unverzüglich weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen und er hat sich fortzubilden[6]. Durch Anlegung von Handakten muss er ein geordnetes Bild über die von ihm entfaltete Tätigkeit geben können. Auch die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichtungen, die sich für den Rechtsanwalt aus dem Steuerrecht ergeben, sollen nicht unerwähnt bleiben[7]. Kennzeichen zahlreicher Pflichten des Rechtsanwalts ist, dass ihre Erfüllung in der anwaltlichen Praxis auf Mitarbeiter delegiert wird. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheit lässt sich Büroorganisation in der Anwaltskanzlei auch als alle Arbeiten im nichtanwaltlichen Bereich definieren.
B. Originäre anwaltliche Tätigkeit / Arbeiten im nichtanwaltlichen Bereich
Generell lassen sich in Rechtsanwaltskanzleien zwei Arten von Tätigkeiten unterscheiden:
- die originäre anwaltliche Tätigkeit und
- alle Arbeiten im nichtanwaltlichen Bereich.
Die originäre anwaltliche Tätigkeit besteht in der Beratung und Vertretung der Mandanten gem. § 3 Absatz 1 BRAO und § 1 Absatz 3 BORA. Im „Idealfall“ nimmt der Rechtsanwalt die ihm im Rahmen der Mandate angetragenen Lebenssachverhalte zur Kenntnis, führt die dazu erforderliche Tatsachen- und Rechtsprüfung durch und veranlasst den Fortgang der Angelegenheit, z.B. durch Diktat/Fertigung eines Anspruchsschreibens und/oder einer Klageschrift oder auch „nur“ mittels Telefonanrufs z.B. beim Gegner und/oder dessen Vertreter. Salopp ausgedrückt: Der Rechtsanwalt denkt und lenkt.
Alle Arbeiten, die nicht zu den vorbeschriebenen originär anwaltlichen Tätigkeiten gehören, können als Arbeiten im nichtanwaltlichen Bereich bezeichnet werden. Das sind die Arbeiten, die (regelmäßig) dem Büropersonal überlassen werden (und auch überlassen werden dürfen)[8]. Im Überblick gehören dazu:
- Organisationsmittel, Büroablauforganisation
- Bearbeitung und Kontrolle der Fristen und Termine
- Post- und Dokumentenmanagement
- Planung, Organisation und Einsatz der Datenverarbeitungs- und Telekommunikationssysteme
- Rechtsdatenbanken, Datenschutz
- betriebliches Rechungswesen einschließlich Aufzeichnungspflichten, betriebliche Steuerung, Kosten-Nutzen-Analyse
- Materialverwaltung
- Verkehr mit Gerichten, Behörden und Dritte
Die Vielzahl der vorgenannten Arbeiten im nichtanwaltlichen Bereich spiegeln sich in den Fertigkeiten und Kenntnissen der Kanzleimitarbeiter wider. Das sind z.B.:
- Organisation der Kanzlei kennen und seine eigene Arbeit geplant in die Arbeitsabläufe einbringen
- Schriftstücke und Akten gemäß Prozessregister (und Urkundenrolle) auffinden und ablegen
- Termine und Fristen kontrollieren
- eingehende Post nach der Organisation der Kanzlei sortieren, ausgehende Post nach der Unterschriftskontrolle versandfertig machen
- betriebliche Arbeits- und Organisationsmittel fachgerecht handhaben sowie wirtschaftlich und umweltgerecht einsetzen
- Schriftverkehr nach Diktat führen, einfachen Schriftverkehr bearbeiten und einfache Aktenvermerke verfassen
- Vorgänge des Zustellungsverkehrs bearbeiten
- berufsbezogenes Rechnen anwenden (z.B. Zinsen berechnen)
- ggf. Buchführungsarbeiten durchführen
- Mandanten/Besucher empfangen, Telefongespräche führen und die Anliegen erfragen
- Gesetze auffinden in Textsammlungen (Printmedien und elektronische Datenbanken)
- Gesetze, Rechtsprechung, Literatur und Zeitschriften sowie deren Fundstellen mit den üblichen Abkürzungen bezeichnen, unterscheiden und zuordnen
- Informations- und Kommunikationstechnik fachbezogen anwenden, insbesondere Textverarbeitungsgeräte und Textsysteme fachgerecht, wirtschaftlich und umweltgerecht nutzen
Hinweis:
Die vorgenannten Arbeiten im nichtanwaltlichen Bereich sind gemeinsamer Teil der Berufsausbildung zur Rechtsanwalts-, Notar- und Patentfachangestellten gem. § 4 Nr. 2 der ReNoPat-Ausbildungsverordnung[9]. Ausweislich der Anlage zu § 9 ReNoPat-Ausbildungsverordnung[10], dort unter lfd. Nr. 2, sind die Arbeiten im nichtanwaltlichen Bereich während der gesamten Ausbildungszeit zu vermitteln. Das ist Aufgabe und Verantwortung der Berufsträger.
C. Einzelne Arbeitsabläufe und ihre berufsrechtlichen Grundlage
Hat der einzelne Rechtsanwalt erst einmal wahrgenommen, welche Vielzahl von Tätigkeiten im nichtanwaltlichen Bereich in der Kanzlei zu verrichten sind, erkennt er schnell die Komplexität der Büroorganisation und das Erfordernis, alles miteinander zu koordinieren, aufeinander abzustimmen und immer wieder die Einhaltung einzelner Arbeitsschritte überwachen zu müssen. Unabhängig von der Größe einer Kanzlei, der Anzahl der Berufsträger und/oder Mitarbeiter drängen sich bestimmte Arbeitsabläufe und die Notwendigkeit, diese zu strukturieren und zu kontrollieren von selbst auf. Beispielhaft seien genannt:
- Aktenanlage
- Aufklärungspflichten ggü. Mandanten
- Fremdgelder/Anderkonten
- Posteingangs-/ -ausgangskontrolle
- Fristenkontrolle
- (formwirksame) Kommunikation
Die vorgenannten sechs Beispiele typischer Arbeitsabläufe in Rechtsanwaltskanzleien verdeutlichen sehr beredt, dass Büroorganisation in der Anwaltskanzlei die Umsetzung eines sehr engmaschigen Pflichtenkanons ist. Die Verpflichtung, überhaupt eine Kanzlei zu unterhalten, ergibt sich aus § 27 BRAO und § 5 BORA. Nach der Rspr. des BGH[11] genügt ein Rechtsanwalt der ihm obliegenden Kanzleipflicht nur dann, wenn er über einen Raum verfügt, in dem er seinen Berufsgeschäften nachgehen kann und zu den üblichen Geschäftsstunden normalerweise erreichbar ist, dort zudem einen Telefonanschluss unterhält und der rechtsuchenden Öffentlichkeit durch ein Kanzleischild seinen Willen offenbart, eine Rechtsanwaltskanzlei zu betreiben[12].
Die zahlreichen Aufklärungspflichten[13], denen der Rechtsanwalt bei der Annahme, der Ablehnung, der Wahrnehmung und Beendigung eines Mandats genügen muss, ergeben sich aus verschiedenen Vorschriften, z.B.
- § 43a Absatz 4 BRAO (Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen)
- § 44 BRAO (unverzügliche Mitteilung der Ablehnung eines Auftrags)
- §§ 48, 49, 49a BRAO (Übernahme/Ablehnung von PkH-Mandaten, Pflichtverteidi-gungen, Beratungshilfe-Mandaten)
- § 49b Absatz 5 BRAO ( Aufklärung über Gebühren vor Mandatsannahme)
Die Pflichten über den Umgang mit Fremdgeldern und ggf. die Bevorratung von Anderkonten ergeben sich aus § 43a Absatz 5 BRAO und § 4 BORA[14].
Die Verpflichtung zur Posteingangs-/ -ausgangskontrolle ist nicht ausdrücklich in den berufs-rechtlichen Vorschriften geregelt. Insoweit enthält § 14 BORA den Hinweis, dass der Rechtsanwalt ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis - mit dem Datum versehen - unverzüglich zu erteilen hat. Der Vollständigkeit halber sei der Hinweis erlaubt, dass ein Empfangsbekenntnis nur vom Rechtsanwalt selbst mit Datum und Unterschrift unterzeichnet werden darf. Auch ein anwaltlicher Vertreter (§ 53 BRAO) ist dazu berechtigt. Vom (nichtanwaltlichen) Personal ist niemand zur Erteilung eines Empfangsbekenntnisses berechtigt. Vorgenanntes gilt auch für Empfangsbekenntnisse, die mittels Telefax oder E-Mail versendet werden.
Im Übrigen lässt sich die Pflicht des Rechtsanwalts zur Posteingangs-/ -ausgangskontrolle aus seiner allgemeinen Verpflichtung ableiten, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben gem. § 43 BRAO[15] und aus der vertraglich begründeten Verpflichtung ggü. dem Mandanten, das Mandat ordnungsgemäß zu bearbeiten.
Die Verpflichtung zur Fristenkontrolle und Einhaltung einer (formwirksamen) Kommunikation lässt sich ebenfalls aus § 43 BRAO[16] und aus der vertraglich begründeten Verpflichtung ggü. den Mandanten, das Mandat ordnungsgemäß zu bearbeiten, herleiten. Welche Fristen und welche Form einzuhalten ist, ergibt sich aus zahlreichen (materiellen und prozessualen) Vorschriften. Die bekanntesten Fristen nach der ZPO sind sicherlich die 2-wöchige Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil gem. § 339 Absatz 1 ZPO und die Monatsfrist zur Einlegung einer Berufung gem. § 517 ZPO[17]. Als Beispiele für Formvorschriften nach dem BGB seien genannt § 126 BGB (Schriftform), § 126a BGB (elektronische Form) und § 126b BGB (Textform). Eine Klageschrift nebst Abschriften kann z.B. formwirksam per Telefax an das zuständige Gericht gesandt werden gem. § 130 Nr. 6 ZPO. In diesem Fall reicht es aus, wenn der Absender von der unterschriebenen Urschrift (nebst der Abschriften) eine Telekopie an das Gericht sendet. Wird dagegen eine Klageschrift nebst Abschriften per Post an das Gericht gesandt, gilt das Schriftformerfordernis § 253 Absatz 5, Satz 1 ZPO i.V.m. § 126 BGB. Das bedeutet, dass der Absender dem Gericht die unterschriebene Urschrift nebst Abschriften zukommen lassen muss. Es ist demnach eminent wichtig, bei der anwaltlichen Kommunikation die richtige Form zu wahren[18].
D. Zusammenfassung
Büroorganisation in der Anwaltskanzlei setzt nach alledem nicht nur betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Managementfähigkeiten und organisatorisches Geschick, sondern gute Kenntnisse des anwaltlichen Berufsrechts voraus. Sämtliche Arbeitsabläufe spiegeln letztlich berufsrechtliche Pflichten wider. Wer sich also mit der BRAO und BORA befasst, schafft allerbeste Voraussetzungen für eine gute Büroorganisation. Haftungsträchtige Fehler werden dadurch vermieden.
Zahlreiche Pflichten aus dem Berufsrecht korrespondieren unmittelbar mit strafrechtlichen Vorschriften. Beispiele: Die Verschwiegenheitspflicht gem. § 43a Absatz 2 BRAO und § 2 BORA korrespondiert mit § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen). Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gem. § 43a Absatz 4 BRAO und § 3 BORA ist  in § 356 StGB (Parteiverrat) pönalisiert. Der fehlerhafte Umgang mit Fremdgeldern gem. § 43a Absatz 5 BRAO und § 4 BORA kann den Tatbestand der Unterschlagung und/oder Untreue erfüllen gem. §§ 246, 266 StGB.
Um den Rahmen dieses Beitrags nicht zu sprengen, wurde insbesondere auf Vorschriften des StGB nicht eingegangen. Die derzeitigen „Top-Themen“ der Rechtspolitik[19], die sich ebenfalls in der Büroorganisation spiegeln, bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt. Schließlich ist auch die Dienstleistungs-Informationspflichten-Verordnung (DL-InfoV), die am 17. Mai 2010 in Kraft getreten ist, nicht Gegenstand der Erörterungen[20].
E. Literatur Tipps
- Römermann/Hartung: Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., 2008 (29,00 €).
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Wieland Horn: Berufsrecht der Anwaltschaft, 10. Aufl. 2009 (19,90 €).
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