Strafgerichtliche Hauptverhandlungen sollen künftig durch Tonaufzeichnungen dokumentiert werden. Das sieht der im Mai von der Bundesregierung beschlossene Entwurf für ein Gesetz zur Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung vor.
Nach heftiger Kritik vor allem aus Justiz und Staatsanwaltschaften an der ursprünglich geplanten audiovisuellen Dokumentation hatte das Bundesjustizministerium die reine Tondokumentation als Kompromiss vorgeschlagen. Aus Sicht der BRAK ist dies zwar nicht die beste mögliche Dokumentation, die mit heutiger Technik umsetzbar gewesen wäre. Weil sie aber das bestehende Protokollsystem im Interesse von Beschuldigten und Anwaltschaft für dringend reformbedürftig hält, fordert sie eine rasche Umsetzung des abgespeckten Reformprojekts.
Zwischenzeitlich hat der Bundesrat zu dem Gesetzesvorhaben Stellung genommen. Er bittet insbesondere um Prüfung, ob es neben einer Tonaufzeichnung zusätzlich eines Transkriptes bedarf, oder ob nicht die Tonaufnahme als unverfälschtes und authentisches Original zum Nachweis des in der Hauptverhandlung Gesprochenen ausreicht und besser geeignet ist.
Zu prüfen sei auch, wie die Persönlichkeitsrechte von Zeugen und Zeuginnen, insbesondere von Opfern einer Straftat nach dem Katalog des § 255a II 1 StPO – dazu zählen u.a. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und die Misshandlung von Schutzbefohlenen – besser geschützt werden können, wenn sie in der Hauptverhandlung aussagen (müssen) und dies digital dokumentiert wird. Er regt an, von der Aufzeichnung abzusehen, wenn das als Zeuge oder Zeugin zu vernehmende Opfer berechtigte Interessen geltend macht.
In ihrer Gegenäußerung vom 24.8.2023 betont die Bundesregierung, dass sie an der im Gesetzentwurf vorgesehenen automatisierten Transkription der Tonaufzeichnung festhalte. Gerade durch die Verschriftung mittels Transkriptionssoftware werde den Verfahrensbeteiligten ein Arbeitsmittel an die Hand gegeben, das der Aufzeichnung in seiner Praktikabilität erheblich überlegen sei. Das Transkript könne als digitales oder ausgedrucktes Textdokument deutlich besser als die Aufzeichnung selbst genutzt werden, etwa durch Suchfunktion, Markierungen oder Anmerkungen. Im Fokus der praktischen Arbeit werde in der Zukunft das Transkript stehen. Die Tonaufzeichnung sei Grundlage und zugleich Korrektiv des Transkripts. Bereits heutige Transkriptionsprogramme seien sehr leistungsfähig; eine weitere Leistungssteigerung sei in den kommenden Jahre zu erwarten.
Einer – mit erheblichem Personalaufwand verbundenen – nachträglichen Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Transkripts bedarf es laut Gegenäußerung der Bundesregierung nicht. Dies folge aus seiner Funktion als bloßes Hilfsmittel; zudem seien Transkript und Tonaufzeichnung eine Dokumentationseinheit, die Tonspur sei stets als Korrektiv verfügbar.
Mit Blick auf Opfer-Zeuginnen und Zeugen i.S.v. § 255 II 1 StPO will die Bundesregierung prüfen, ob entsprechende Ergänzungen vorgenommen werden. Maßstab sei, dass im Grundsatz eine Dokumentationspflicht besteht und dass dem Schutz der Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten bereits umfassend durch Verwendungs- und Zugangsbeschränkungen sowie technischen Schutzmaßnahmen Rechnung getragen werde. Die Möglichkeit, nach dem Ermessen des Gerichts von der Dokumentation abzusehen, komme daher nur in besonderen Ausnahmefällen vorbehalten mit besonders hohem Geheimhaltungsinteresse in Betracht.
Auch mit den weiteren Einwendungen des Bundesrates setzt die Bundesregierung sich in ihrer Gegenäußerung im Detail auseinander, etwa zur Frage einer Beschränkung der Verwendung der Dokumentation im Wiederaufnahmeverfahren.
Die BRAK hatte sich mit Stellungnahmen zum Referentenentwurf und zum Regierungsentwurf intensiv am Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Die im Präsidium zuständige Vizepräsidentin Ulrike Paul sowie der Vorsitzende des Strafprozessrechts-Ausschusses der BRAK, Prof. Dr. Christoph Knauer, führten zudem Gespräche mit den Regierungsfraktionen. Die BRAK wird das Gesetzgebungsvorhaben auch weiterhin eng begleiten.
Weiterführende Links:
Stellungnahme Nr. 23/2023 (zum Regierungsentwurf)
Nachrichten aus Berlin 10/2023 v. 17.5.2023 (zum Regierungsentwurf)
Nachrichten aus Berlin 8/2023 v. 20.4.2023 (zum Kompromissvorschlag des BMJ)
Presseerklärung Nr. 2/2023 v. 13.3.2023
Stellungnahme Nr. 8/2023 und Nr. 9/2023 (zum Referentenentwurf)