Das umstrittene Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit ist Ende des Jahres 2021 in Kraft getreten. Damit wurden die Möglichkeiten zur Wiederaufnahme des Verfahrens zu Lasten Freigesprochener erweitert. Das Gesetz könnte bald durch den Bundestag erneut überprüft werden.
Erlaubt ist die Wiederaufnahme eines bereits durch Freispruch abgeschlossenen Strafverfahrens bei Mord und bestimmten völkerstrafrechtlichen Delikten nunmehr auch dann, wenn neue Beweismittel eine Verurteilung hoch wahrscheinlich erscheinen lassen. Dies ergänzt die bereits vorhandenen Wiederaufnahmegründe, die nur in Härtefällen eingreifen.
Die Frage, in welchen Fällen ein Strafverfahren nach erfolgtem Freispruch wieder aufgenommen werden darf, ist seit Langem in Strafrechtswissenschaft und -praxis umstritten. Kritikpunkt ist unter anderem, dass eine Wiederaufnahme nach bereits erfolgtem Freispruch gegen den auch in Art. 103 III GG niedergelegten Verfahrensgrundsatz verstößt, dass niemand wegen derselben Tat zweimal angeklagt werden darf („ne bis in idem“). Auch die BRAK hatte das aktuelle Gesetzesvorhaben scharf kritisiert, insbesondere wegen des „Hau-ruck-Verfahrens“ ohne Beteiligung von Verbänden und Fachöffentlichkeit.
Das Gesetz wurde am 29.12.2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und ist am 30.12.2021 in Kraft getreten.
Der Bundespräsident äußerte nach Unterzeichnung des Gesetzes erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an dem Gesetz und regte an, dieses erneut im Bundestag zu prüfen. Auch Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann plädierte am 11.1.2022 gegenüber der Deutschen Presse-Agentur dafür, das Gesetz noch einmal unter die Lupe zu nehmen; entsprechendes ist auch aus den Kreisen der Regierungsfraktionen zu hören.
Zugleich mit der Schaffung der Wiederaufnahmemöglichkeit wurde die zivilrechtliche Verjährung für Ansprüche aus den betreffenden, strafrechtlich unverjährbaren Delikten (§ 194 II BGB) abgeschafft. Hierzu hatte der Rechtsausschuss des Bundesrates in seiner Sitzung am 3.9.2021 erhebliche Bedenken aus Gründen des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit erhoben und deshalb einen Prüfauftrag an die neue Bundesregierung beschlossen.
Weiterführende Links: