BRAO § 43 a Abs. 3

Vorwurf der Rechtsunkenntnis kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot

AnwG Hamburg, Beschl. v. 17.07.2008 – 1 AnwG 8/08 = BeckRS 2009, 03017
Fundstelle: NJW-Spezial, S. 62 f.

Trägt ein Anwalt in seinem Schriftsatz vor, dass ein Antrag auf Gewährung von PKH zurückzuweisen sei, weil das Verteidigungsvorbringen des Beklagten ohne Aussicht auf Erfolg sei und es in höchstem Maße unverantwortlich wäre, dem Beklagten „ausgerechnet seine gegenwärtigen Prozessbevollmächtigten beizuordnen, die wettbewerbsrechtliche Kenntnisse erst durch das vorliegende Verfahren zu gewinnen hoffen“, liegt hierin kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot.

Leitsatz des Gerichts

GG Art. 13 Abs. 1, Abs. 2, 14 Abs. 1; StPO § 97 Abs. 1

Durchsuchung einer Anwaltskanzlei und Beschlagnahme einer Handakte

BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 11.07.2008  - 2 BvR 2016/06
Fundstelle: NJW 2009, S. 281 f.1.  Im Hinblick auf die erhöhten Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung der Kanzleiräume eines (nicht beschuldigten) Rechtsanwalts und der Beschlagnahme einer Verfahrenshandakte verstoßen entsprechende Anordnungen gegen Art. 13 I, II, 14 I GG, wenn lediglich die vage und nicht näher begründete Möglichkeit besteht, dass die Handakte neue verfahrensrelevante Erkenntnisse enthalten würde, die Vernehmung von Mitarbeitern des Mandanten des Rechtsanwalts als Zeugen sowie die Anfertigung von Kopien der Handakte in Betracht kommen und sich das Gericht nicht mit der Schwere der aufzuklärenden Straftat auseinandersetzt.1

2.  Die Auffassung der Gerichte, dass die Beziehung eines Nichtbeschuldigten zu einem Berufsgeheimnisträger nicht der Schutznorm des § 97 I StPO unterliegen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Leitsatz der Redaktion der NJW

 

BRAO § 43 a Abs. 4; BORA § 3

Wahrnehmung widerstreitender Interessen durch Treuhandtätigkeit

AnwG Hamburg, Beschl. v. 10.06.2008 – II AnwG 21/07 = BeckRS 2008, 24192
Fundstelle: NJW-Spezial 2008, S. 766 f.

Lässt sich ein Anwalt unwiderruflich von seinem Mandanten und der Gegenpartei anweisen, auf sein Anderkonto einen Betrag zur Sicherung des Anspruchs der Gegenpartei zu verwahren, verstößt er gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen.

 

Leitsatz des Gerichts

BRAO § 49 b Abs. 1 BRAO; RVG § 4

Verbotene Gebührenunterschreitung

BGH, Beschl. vom 09.06.2008 – AnwSt (R) 5/05 = BeckRS 2008, 14241
Fundstelle: NJW-Spezial 2008, S. 6

Bezieht sich eine Pauschalvergütung auf eine unbestimmte Anzahl von Fällen, muss etwa durch Gebührenstaffelung gewährleistet sein, dass in allen Fällen ein angemessenes Verhältnis des Pauschalbetrags zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Anwalts gewahrt ist.

 

Leitsatz des Gerichts

 

BRAO §§ 150, 155; ZPO §§ 244, 249

Unterbrechung des Prozesses bei vorläufigem Tätigkeitsverbot gegen Rechtsanwalt

OLG Hamm, Urt. v. 03.06.2008 – 19 U 26/08 (LG Hagen) Fundstelle: NJW 2008, S. 3075 f.

 

1.  Ein vorläufiges Tätigkeitsverbot gegen einen Rechtsanwalt nach §§ 150, 155 BRAO führt zur Unterbrechung eines Zivilprozesses gem. § 244 ZPO auch dann, wenn das erkennende Gericht davon nichts weiß.
 

2.  Eine gleichwohl durchgeführte Beweisaufnahme ist zu wiederholen; ein ergangenes Urteil ist nicht nichtig, jedoch auf die Berufung hin aufzuheben und der Rechtsstreit an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.

Leitsatz des Einsender der NJW

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 8

Unzureichende Freistellungserklärung des Arbeitgebers eines Syndikusanwalts

AnwGH Rheinland-Pfalz, Beschl. vom 30.05.2008 – 1 AGH 10/07 = BeckRS 2008, 20424
Fundstelle: NJW-Spezial 2008, S. 638

 

Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitgeber eines Syndikusanwalts diesem lediglich erlaubt, seinen Arbeitsplatz zur Wahrnehmung anwaltlicher Termine zu verlassen, wenn dies seine Tätigkeit als Rechtsanwalt „im Einzelfall zwingend erforderlich macht“.

Leitsatz des Gerichts

 

Anmerkung:

In dem zugrunde liegenden Fall hatte die Rechtsanwaltskammer nachträglich davon Kenntnis erlangt, dass ein zugelassener Anwalt bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber in einem ständigen Beschäftigungsverhältnis angestellt war. Die daraufhin von dem Rechtsanwalt angeforderte Freistellungserklärung seines Arbeitgebers enthielt die Einschränkung dahingehend, dass der Anwalt berechtigt sei „seine Arbeitstätte zur Wahrnehmung anwaltlicher Termine zu verlassen, wenn dies seine Tätigkeit als Rechtsanwalt im Einzelfall zwingend erforderlich mache“. Der daraufhin erfolgte Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gem. § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO wurde durch den noch nicht rechtskräftigen Beschluss des Anwaltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz bestätigt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss ein Anwalt seinen Anwaltsberuf in einem, wenn auch beschränkten oder doch irgendwie nennenswerten Umfang und jedenfalls mehr als bloß gelegentlich ausüben können.

In der Einschränkung, seine Arbeitsstätte verlassen zu dürfen, wenn dies „im Einzelfall“ erforderlich sei, sah der Anwaltsgerichtshof eine Beschränkung begründet, die es dem Anwalt nicht ermögliche, im Rahmen des erforderlichen Freiraums seine Anwaltstätigkeit tatsächlich unabhängig zu gestalten.
 

Hinweis:

Wenn ein Rechtsanwalt ein Beschäftigungsverhältnis eingeht oder eine wesentliche Änderung des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses eintritt, hat er dies gem. § 56 Abs. 2 Nr. 1 BRAO der Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen.

GG Art. 13, 12

Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei

BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 06.05.2008 – 2 BvR 384/07 Fundstelle: NJW 2008, S. 1937 f.

1.      Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme (hier: Durchsuchung einer Anwaltskanzlei).1

2.      Zur Begründung der Angemessenheit einer Durchsuchung genügen formelhafte Wendungen nicht. Der Richter darf sich nicht nur mit der Schwere des Tatverdachts, er muss sich auch mit der Schwere der Straftat und der zu erwartenden Strafe auseinandersetzen. Dabei reicht der Hinweis auf den Strafrahmen (hier: falsche Verdächtigung) nicht aus, um die Schwere der verfolgten Straftat zu begründen. Der Ermittlungsrichter muss vielmehr prüfen, ob nach dem Stand der Ermittlungen im konkreten Fall die Verurteilung zu einer mehr als geringfügigen Sanktion in Betracht kommt.1

 

Leitsatz der Redaktion der NJW

 

GG Art. 12 I, 13 I, II; StPO § 97; StGB § 185

Durchsuchung der Kanzleiräume und der Wohnung eines Rechtsanwalts

BVerfG, Beschl. v. 05.05.2008 - 2 BvR 180/06
Fundstelle: NJW 2008, S. 2422 ff.

Die Durchsuchung auch beruflich genutzter Räume greift in schwerwiegender Weise in das Grundrecht aus Art. 13 GG ein. Auch wenn eine solche Durchsuchung nicht unmittelbar den Schutzbereich der Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG berührt, haben die Strafverfolgungsbehörden das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen zu berücksichtigten. Die herausgehobene Bedeutung der Berufsausübung eines Rechtsanwalts für die Rechtspflege und für die Wahrung der Rechte seiner Mandanten gebietet die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, auch wenn bei Beschlagnahme und die auf sie gerichtete Durchsuchung bei einem als Strafverteidiger tätigen Rechtsanwalt durch § 97 StPO nicht generell ausgeschlossen ist, wenn dieser selbst Beschuldigter in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren ist.

Leitsatz der Redaktion der NJW

 

 

BORA § 3 Abs. 2

Vertretung widerstreitender Interessen – Anwälte in Bürogemeinschaft

OLG Bremen, Beschl. v. 24.04.2008 – 4 WF 38/08
Fundstelle: NJW-Spezial 2008, S. 478 f.

Die Beiordnung des von einem Mandanten gewählten Anwalts ist ausgeschlossen, wenn dieser einem Tätigkeitsverbot unterliegt. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Anwalt mit dem Vertreter der Gegenseite in Bürogemeinschaft verbunden ist.²

Leitsatz des Gerichts

 

 

GG Art. 5 I, 12 I; BRAO § 43 a III; StGB §§ 186, 193

Wahrnehmung berechtigter Interessen durch Rechtsanwalt

BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 15.04.2008 - 1 BvR 1793/071.     Ein Verhalten, das einen Beleidigungstatbestand erfüllt, kann nur dann als Verletzung beruflicher Pflichten beanstandet werden, wenn es nicht in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt ist. Im Rahmen der Prüfung der Wahrnehmung berechtigter Interessen ist eine fallbezogene Abwägung zwischen den Grundrechten der Berufsfreiheit - gegebenenfalls unter Einbeziehung auch der Meinungsfreiheit - und den Rechtsgütern, deren Schutz die einschränkende Norm bezweckt, verfassungsrechtlich geboten.

2.     Mit Blick auf die Berufsfreiheit können herabsetzende Äußerungen, die ein Rechtsanwalt im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung und der dabei zulässigen Kritik abgibt, nur dann Anlass für berufsrechtliche Maßnahmen sein, wenn besondere Umstände hinzutreten.Leitsatz desr Redation der NJW

BRAO §§ 116 S. 2, StPO § 304 Abs. 3 S. 2

Keine sofortige Beschwerde gegen Kostenentscheidung des Anwaltsgerichtshofs

BGH, Beschl. v. 31.03.2008, AnwSt (B) 15/07
Fundstelle: RVGreport 2008, S. 280

BRAO §§ 164–170, GG Art. 12

Verfassungsmäßigkeit des Auswahlverfahrens für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim BGH

BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 27.02.2008 –
1 BvR 1295/07
Fundstelle: NJW 2008, S. 1293 ff.

1.
Das wesenstypische Element der freien Rechtsanwaltschaft liegt in der staatlicher Einflussnahme entzogenen, unabhängigen Wahrnehmung der Interessen des Rechtsuchenden. In diesem maßgeblichen Merkmal unterscheidet sich die Tätigkeit der bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwälte nicht von der aller Rechtsanwälte.

2.
Mit der Begrenzung der bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwälte gem. § 168 II BRAO verfolgt der Gesetzgeber ein gewichtiges Gemeinwohlziel, das die Beschränkung der Berufsausübung legitimieren kann (vgl. BVerfGE 117, 163 [182] = NJW 2007, 979).

3.
Zur Förderung und Verbesserung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zivilsachen sind das Auswahlverfahren und insbesondere die Zulassungsbegrenzung nach § 168 II BRAO verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und zumutbar.

Leitsatz der Redaktion der NJW

 

 

 

Unterkategorien

Seite 36 von 54